Von Matthias Bosenick (29.11.2023)
So bekommt man den Horizont erweitert: Bei Failure handelt es sich um eine US-Indierockband, die in den Neunzigern einige Alben und Singles herausbrachte, sich auflöste und wie fast alle Indiebands im neuen Jahrtausend einen Neustart absolvierte. Man kann ja nicht alles kennen, obschon einige Failure-Musiker später bei diversen Tool-Projekten aufschlugen, da hilft eine Tribute-Compilation schon weiter: „Planète Magnifiée“ wird zweigeteilt vom französischen Label Bitume Prod herausgegeben. Der erste Teil mit 19 Bands liegt bereits vor: Die darauf enthaltenen Coverversionen wecken zum Teil den Geist des Neunziger-Indierock, wie man ihn seinerzeit auf MTV zu lieben lernte, obwohl viele Songs von nach der Reunion dabei sind, verharren aber nicht bei der schnöden Reproduktion. Die Kompilatoren rekrutierten Beitragende aus den unterschiedlichsten Genres, Stoner, Punk, Doom, Electro-Rock, Noisecore, Synthiepop und natürlich Indierock, und erstellen ein breites Portfolio an unbekannten Bands, die einer auch nicht so bekannten Band huldigen. Auch ohne Kenntnis der Originale ist diese Zusammenstellung eine Erkundung wert.
Sind die ersten drei Bands noch trotz unterschiedlicher stromgitarrenmusikalischer Ausrichtung im Sound relativ nah beieinander, schlagen Method Of The W.O.R.M. mit der ersten Überraschung zu Buche: Das Schlagzeug auf „Atom City Queen“ ist minimalistisch-synthetisch, die Rockmusik dazu noisig und fett. Das folgende „Distorted Fields“ von dreDDup klingt wie der Titel, dreckig groovend und durch den Wolf gedreht. Beinahe wie ein milderer Michael Gira klingt Ryan Schlotterbeck, Sänger der Punkband Four Arm Shiver, mit seinem tiefen, klaren Gesang auf seiner fuzzy coutrifizierten Version von „Counterfeit Sky“. Nick Hollow gestaltet „What Makes It Easy“ in einem minimal-elektronischen Achtziger-Gewand, in Richtung Synthiepop schieben AD79 ihren „Half Moon“. Der rotzigste Punkrock kommt von den California Dogs und ihrer anderthalbminütigen „Princess“. Aus „Bring Back The Sound“ machen die Finnen von Kaamosmasennus einen dunklen, fast gruftigen Ambient-Track, aus dem ein bratziger Postrock und daraus ein Post-Black-Metal-Stück mit Growls wird, inklusive Rückflugticket zum Ambient.
Teil zwei dieser Tribute-Compilation widmet sich komplett dem dritten Failure-Album „Fantastic Planet“ und erscheint im Dezember. Darauf ist Mr Godson Will Be The Last One To Survive sicherlich der ungewöhnlichste Bandname, und deren Song „Pillowhead“ mit dem Billo-Synthie-Intro macht jeder Schweden-Grooverock-Combo alle Ehre. „Blank“ von Seven Second Circle dürfte die erste echte Ballade dieser 33 Songs sein. Mit Orgel! „Solaris“ von Bolshevik Intervention ist ein EBM-Industrial-Track geworden, mit auf Französisch rezitiertem Text. Dead Storm Rising schieben „Leo“ in einen bei NFD erprobten Gothic Rock. „Heliotropic“ wird in den Händen von Astraya eine mit Industrial-Noises unterlegte Indierock-Ballade.
Viele Beiträge bedienen sich klar bei Neunziger-Sounds, man könnte sie beinahe als Pastiche auffassen. Man erkennt Passagen von Pavement, The Breeders, dem „The Crow“-Soundtrack, Alice In Chains, Monster Magnet, Helmet, Guided By Voices, aber nun, das verwundert ja nun nicht, wenn auch die Vorlagen dieser Songs aus den Neunzigern stammen. Doch ordnen die Bands die Sounds eigenständig an und bringen sie in neue Kombinationen, sie folgen zumeist nicht den handelsüblichen Songstrukturen, sie lassen Raum für Unterbrechungen, Abweichungen, Spielereien. In den Neunzigern war es noch mehr als möglich, mit unbequemer Musik die Hitlisten anzuführen. Den aktuell angesagten verweichlichten und angepassten Indie-Dudelkram findet man auf dieser Zusammenstellung nicht, unbequem ist diese Musik nach wie vor, und es ist bedauerlich, dass die Breitenwirksamkeit eigenständiger Sounds nicht mehr gegeben ist.
Es braucht keine großen Namen, um eine mehr als spannende Tribute-Compilation für wen auch immer zusammenzustellen: Hier entdeckt man 33 neue Bands. Nein, 34: Es wird Zeit, sich mit Failure auseinanderzusetzen!
Die Tracklist:
Planète Magnifiée:
01 Illusionaut – Hot Traveler (Original auf „The Heart Is A Monster“, 2015)
02 Feral Beast – Headstand (Original auf „Wild Type Droid“, 2021)
03 Solaris – Wonderful Life (Original auf „Magnified“, 1994)
04 Method Of The W.O.R.M – Atom City Queen (Original auf „The Heart Is A Monster“, 2015)
05 dreDDup – Distorted Fields (Original auf „In The Future Your Body Will Be The Furthest Thing From Your Mind“, 2018)
06 MasaCritika – Frogs (Original auf „Magnified“, 1994)
07 Ryan Schlotterbeck – Counterfeit Sky (Original auf „The Heart Is A Monster“, 2015)
08 Pharoes – Empty Friend (Original auf „Magnified“, 1994)
09 Superchained – Undone (Original auf „Magnified“, 1994)
10 Savannah – Moth (Original auf „Magnified“, 1994)
11 Untitled With Drums – A.M. Amnesia (Original auf „The Heart Is A Monster“, 2015)
12 Unman – The Focus (Original auf „The Heart Is A Monster“, 2015)
13 Helen 55 – Macaque (Original auf „Comfort“, 1992)
14 Nick Hollow – What Makes It Easy (Original auf „In The Future Your Body Will Be The Furthest Thing From Your Mind“, 2018)
15 AD79 – Half Moon (Original auf „Wild Type Droid“, 2021)
16 California Dogs – Princess (Original auf „Comfort“, 1992)
17 Kaamosmasennus – Bring Back The Sound (Original auf „Wild Type Droid“, 2021)
18 Floke – Magnified (Original auf „Magnified“, 1994)
19 Polymerase – Small Crimes (Original auf „Magnified“, 1994)
Fantastic Planet (im Original erschienen 1996):
01 TSO – Saturday Saviour
02 The Shape Within – Sergeant Politeness
03 Bobby Singer – Smoking Umbrellas
04 Mr Godson Will Be The Last One To Survive – Pillowhead
05 Seven Second Circle – Blank
06 Henry’s Child – Dirty Blue Balloons
07 Bolshevik Intervention – Solaris
08 Acid Brains – Pitiful
09 Dead Storm Rising – Leo
10 Diego Annuitti – The Nurse Who Loved Me
11 Zerothson – Another Space Song
12 Quizboy – Stuck On You
13 Astraya – Heliotropic
14 Marc Schuster – Daylight
Es fehlen die drei durchnummerierten „Segue“-Interludes.