PJ Harvey: A Dog Called Money – Seamus Murphy – IRL/GB 2019

Von Matthias Bosenick (21.11.2019)

Wir sehen der englischen Musikerin Polly Jean Harvey dabei zu, wie sie in den Elends- und Krisengebieten dieser Welt (Afghanistan, Kosovo, USA) Inspiration für ihr 2016er-Album „The Hope Six Demolition Project” findet und diese vor Publikum in Musik umsetzt. Da die Dokumentation ihres irischen Freundes Seamus Murphy ohne tiefergehende Informationen auskommt, ist man darauf angewiesen, lediglich die Bilder und die Töne wirken zu lassen. Für alles andere muss man seinen Plattenschrank oder das Internet bemühen. Der Film ist ansprechend fotografiert, die bluesbasierte Indie-Musik ist unantastbar, lediglich die fehlenden Zusammenhänge sorgen für etwas Stirnrunzeln. Der Film lief in Braunschweig im Rahmen der Sound-On-Screen-Reihe des 33. Internationalen Filmfests.

PJ Harvey schlendert durch zerrüttete Straßen von Kabul, als unverschleierte Frau ohne Stöckelschuhe, wie sie feststellt, und macht 2015 daraus in einem eigens hergerichteten Studio im Somerset House in London einen Song. Dieses Studio ist so aufgebaut, dass sämtliche Musiker in einem Glaskasten sitzen, aus dem zwar niemand herausschauen kann, in den aber ein unbestimmtes Publikum hineinblickt und die Aufnahmen still mitverfolgt. Warum Harvey diese Konstellation wählte, bleibt ihr Geheimnis. Warum sie diese Reisen unternahm, ebenfalls. Denn Kabul ist nicht der einzige Ort, an dem sich die Musikerin inspirieren lässt: Sie ist außerdem im Kosovo und in Washington D.C. unterwegs. Rätselhafter- und irritierenderweise schneidet Regisseur Murphy eigene – bewegende, erschütternde, kunstvolle – Aufnahmen aus anderen Problemgegenden dazwischen, die Harvey gar nicht mit ihm besuchte.

Es bleibt nicht das einzige Rätsel dieses Films. Auf diesen Reisen begegnet Harvey unablässig Musik, Gesang, Geräusch: religiöse Zeremonien und traditionelle Instrumente in Kabul, sakrale Gesänge im Kosovo, Kirchenmusik, Gospel und Rap in Washington; immer wieder Religion also. Murphy zeigt jeweils die Reise und die Aufnahme des dazugehörigen Songs im Wechsel, doch findet irritierenderweise kaum die Musik der Reisesequenzen Einzug in die danach gehörten Songs: Harvey verarbeitet ihre Eindrücke rein textlich, die Musik bezieht sich meistens auf andere Quellen, Blues häufig, Jazz, Rock, einmal deutlich Bob Dylans „Rainy Day Women #12 & 35“.

In der Mitte des Films gibt es indes einmal einen direkten Austausch zwischen Inspirationsquelle und Kunst: Für eine Kirche in Washington komponiert Harvey einen kapitalismuskritischen Gospelsong, den der dortige Chor intoniert und den Murphy mitfilmt. So reflektieren sich Einfluss und Ergebnis, aber lediglich einmal, und für das Konzept des Films sowie des Albums erscheint dies etwas dürftig. In den Album-Credits erfährt man immerhin, dass Samples von Murphys Aufnahmen den Weg in Harveys Musik fanden, doch in den im Film gehörten Songs wird dies nicht deutlich.

Was an der Musik Harveys nichts schlecht macht: Sie hat die richtigen Mitmusiker, die – allen voran John Parish – auch kreativ am Ergebnis mitwirken. Ihr Indierock, wenn man die Musik so nennen will, ist nicht geradlinig, hat Brüche, bewegt sich frei, erinnert in der Herangehensweise oft an Jazz, indem er Lücken lässt und Melodien schwerelos transportiert. Nick Caves frühere Muse Harvey borgt sich für die Session bei ihrem Ex auch ihren Nachnamensvetter Mick Harvey aus, außerdem ist Produzent Flood mit von der Partie. Vorgestellt bekommt man die vielen Musiker indes nicht, darf sich aber an ihrer künstlerischen Großartigkeit erfreuen. Das Saxophonsolo!

An einer beliebigen Stelle endet der Film. Das Publikum der Sessions bleibt bis dahin anonym, der Kontext bleibt unbestimmt, Harveys Motivation bleibt nebulös, die Musik bleibt großartig, die Bilder ebenfalls: Man merkt, dass Murphy eigentlich Fotograf ist, denn dies ist nicht einfach nur eine Doku, die eine Musikerin mit wackeliger Handkamera verfolgt. Häufig staunt man über die Eindrücke, etwa, wenn an einer dunklen U-Bahn-Haltestelle in Washington ein Deckenspot einen einzelnen dunkelhäutigen Wartenden in der Menge beleuchtet. Viele Eindrücke indes scheinen ohne Kontext zu sein, auch wenn sie eben eindrucksvoll sind, wie die persönlichen Kontakte in Kabul, die zerbombten Häuser im Kosovo sowie die Straßenrapper und die Pro-Trump-Protestler in Washington. Man ahnt, was Harvey erreichen will, nämlich einen kritischen Blick auf die Gegenwart; das liegt ihr nahe, politische Themen bedient sie häufiger. Mit dem Unkonkreten fordert sie zum Selbstdenken auf, und dieses Ziel ist definitiv erreicht.

Als Begleitung zu diesem Film muss man sich dann wohl unbedingt das Album anhören. Und wundert sich: Der Titelsong etwa, „A Dog Called Money“, ist gar nicht enthalten, sondern erschien auf einer separaten Vinyl-7“. Wenn man die Sessions komplett haben will, muss man zusätzlich zu „The Hope Six Demolition Project“ auch noch ebenjene 7“ und die 7“ „The Wheel“ mit dem Radio-Edit kaufen, die Songs „Guilty“ und „The Camp“, letzterer von Ramy Essam, downloaden und sich „Dance On The Mountain“ aus dem BBC-Drama „On Kosovo Field“ auf Youtube angucken. Macht mit einer B-Seite und ohne den Edit fünf Songs, die nicht auf dem Album zu finden sind, aber im Film wesentliche Rollen spielen. Da wäre eine Compilation mit allen Bonüssen fällig, am besten in Kombination mit der DVD.

Das Internet verrät außerdem, dass Harvey einfach nur ihren Kumpel Murphy auf dessen Berichterstatterreisen begleitete, um dort tatsächlich nicht mehr als Eindrücke für ihre Gedichte zu sammeln, aus denen sie dann die Songs formte. Daher ist diese Dokumentation vorrangig Murphys Film, indem Harvey natürlich eine wesentliche Rolle einnimmt. Auch wenn sie bisweilen wie ein kleines Mädchen wirkt, das die Welt nur zum Spielen gebraucht, muss man sich vor Augen halten, dass die Musikerin sehr wohl klar zwischen Elend und Kunst differenzieren kann und dass folglich ihr Album als Klage zu verstehen ist, nicht als reines Kommerzprodukt mit zweifelhaften Quellen. Das allerdings transportiert der Film nicht ausdrücklich.