Von Guido Dörheide (19.05.2025)
Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich auf meine alten Tage nochmal ein Review zu einer neuen Pink-Floyd-CD schreiben könnte, und niemand anders als der Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason hätte es besser auf den Punkt bringen können, als er sinngemäß sagte, dass wenn sich die alten Herren schon nicht einig werden können (und mal ganz ehrlich, wie soll sich irgendjemand, der noch ernsthaft alle Tassen im Schrank hat, mit Roger Waters über irgendetwas einig werden können? Hm?? Häh??? OK, Trump und Netanjahu vielleicht), dann wäre es gut, wenn Sony Music die Herrschaft über das Frühwerk von Pink Floyd an sich reißt und es endlich mal herausbringt. Und genauso ist es mit „Pink Floyd At Pompeii – MCMLXXII“ dann auch passiert: Jahrzehntelang kursierte das Werk als Film, Film-Tonspur in abenteuerlichen Qualitäten usw. usf. VS-NfD undsoweiter herum, und heuer, also quasi 2025, hat sich Sony Music endlich bereitgefunden, den ganzen Scheiß mal von einem PF-Enthusiasten wie Steven Wilson von den von meinem Herausgeber über alles geschätzten Porcupine Tree entstauben, remixen und zu neuem Leben erwecken zu lassen.
Und jetzt mal zurück ins Jahr 2022: Ich hatte meinen kleinen roten Toyota in der Werkstatt und brauchte jemanden, der mich nach der Arbeit dorthin fährt. Mein lieber Ex-Kollege René erklärte sich bereit, mich mit seinem Model 3 von Bienrode nach Dibbesdorf zu fahren, nachdem wir im Auto saßen, sagte er die Adresse in das Riesen-Display des tastenlosen Tesla-Cockpits hinein, Frau Tesla bestätigte und mit gefühlt 99 G und einer Beschleunigung, die wirklich sehr gut war, schossen wir auf die Dibbersdorfer Autowerkstatt zu. Beim Rezensieren der vorliegenden Langspielplatte kam mir dann in den Sinn, was wohl passiert wäre, wenn Frau Tesla aus der Autolautsprecheranlage „Set The Controls For The Heart Of The Sun“ gehört hätte.
Aber Wurscht, nun mal zurück zu dessen (der falsche, aber überaus charmante Genitiv, den Fachhochschullehrer „Prof.“ Dr. Müller in den Zeiten meiner ersten Berufsausbildung prägte), was Pink Floyd ausmacht: Ich teile das Schaffen von Pink Floyd in diverse verschiedene Äras (Ären? Ärata? Herausgeber, zur Hülfe!!!) [Error? Ich weiß es doch auch nicht! Matze] auf: Da war zunächst das vom komplett durchgeknallten Genie Syd Barrett geprägte „The Piper At The Gates Of Dawn“, das Debüt mit der „Im Brennpunkt“-Titelmelodie „Astronomy Domine“ und vor allem auch mit „I’ve got a Bike – you can ride it if you like, it’s a got a basket, a bell that rings and things to make it look good.“ Ein schöneres Liebeslied ist wohl kaum jemals wieder geschrieben worden, und Syd Barrett musste aufgrund zunehmender LSD-induzierter Umnachtung aus der Band geschmissen werden und tauchte dann 1975 wieder im Studio auf, als die verbliebenen Bandmitglieder gerade „Shine On, You Crazy Diamond“ abmischten, und fragte, ob es jetzt wohl an der Zeit für sein Gitarrensolo wäre. Dazwischen veröffentlichten Pink Floyd einige bahnbrechende Alben wie „A Saucerful Of Secrets“, „Meddle“ und „Atom Heart Mother“ (die Platte mit der Kuh auf dem Cover), aber mal ehrlich: Das war Musik für Freaks. Erst mit „The Dark Side Of The Moon“ spielten sich die Floyd im Jahr 1973 in die Herzen der Menschheitsgeschichte und – Scheiße noch eins – ich kann das Album bis heute nicht so richtig abhaben. Erst mit „Wish You Were Here“ – einer herzergreifenden Hommage an Syd Barrett, den „Crazy Diamond“, und danach mit „Animals“ (aber mal ehrlich, die Battersea Power Station ist auch ein wahnsinnig tolles Gebäude, egal ob mit oder ohne fliegendem Schwein darüber) haben mich Pink Floyd so richtig gekriegt, und „The Wall“ ist trotz der ganzen obwaltenden Rogerwaterslastigkeit ein ganz dolles Ding.
Und nun also „Pink Floyd At Pompeii“, mit den Musikern mit freien Oberkörpern (was David Gilmour wohl heute immer noch peinlich ist) in einem komplett leeren Amphibientheater auf der Apenninhalbinsel, angereichert durch einige Studioaufnahmen, die das Ganze nicht schlechter, aber wohl bezahlbarer gemacht haben – und das war VOR „The Dark Side Of The Moon“; Waters und seine Mitstreiter sahen scheiße aus (OK, zugegebenermaßen sah hauptsächlich Waters scheiße aus, dafür ist er genial, das ist der Preis, denke ich), aber sie hatten die Musik. Die hatten sie definitiv, und Steven Wilson hat sie hier nun erstmals in neuem Glanz und vor allem wie aus einem Guss erstrahlen lassen:
„Pink Floyd At Pompeii“ zeigt uns eine wegweisende, die Musik neu erfunden habende Band vor ihren großen Welterfolgen („Dark Side Of the Moon“) und allem Folgenden, an dem sie schließlich grandios zerbrochen ist („The Wall“). Das Album macht deutlich, dass Pink Floyd auch bereits vor „Shine On, You Crazy Diamond“ in der Lage waren, über 30minütige Psychedelicrockepusse aus dem Boden zu stampfen, wie zum Beispiel „Echoes“ vom Album „Meddle“ (das eigentlich das zentrale PF-Album ist, nicht „Dark Side Of The Moon“ oder „The Wall“) oder „One Of These Days“ (auch wieder von „Meddle“) mit den zwei gegeneinander andonnernden Fender-Precision-Bassgitarren und der Jahrhunderttextzeile „One of these Days I’m going to cut you into little pieces“ – beide Songs sind auf „Pompeii“ vertreten, ebenso wie das zuvor zitierte „Set The Controls For The Heart Of The Sun“.
Nach „Echoes – Part 1“ folgt „Careful With That Axe, Eugene“, der Song mit dem wunderbaren Schrei in der Mitte. Und danach kommt dann „A Soucerful Of Secrets“, der Song mit der wohl grandiosesten Schlagzeugarbeit von PF – nicht umsonst hat Nick Mason jahrzehntelang später ein Projekt „Nick Mason’s Saucerful Of Secrets“ benannt, mit dem er auf wundervolle Art und Weise die frühen Pink-Floyd-Songs neu aufgeführt hat.
Danach dann das bereits abgekündigte „One Of these Days“, anschließend der Navigationssystem-Befehl „Set The Controls For The Heart Of The Sun“ – unglaublich, wie viel Großartiges PF schon vor „Money“ oder „Us & Them“ abgeliefert hatte.
Und umso schöner, dass das alles jetzt hier in Form eines halben Live-Albums ohne störende Videobilder vor uns liegt – „Pink Floyd At Pompeii“ lässt eine Band vor unserem akustischen Ohr auferstehen, die größer war als die Summe aller Teile von Roger Waters und die vor allem schon bis in die ganz frühen 1970er Jahre so viele Großtaten abgeliefert hatte, dass es bis heute ausreicht.