Von Matthias Bosenick (05.07.2023)
Und noch eine Compilation mit Hits und Singles. „Smash“ behauptet, auf drei CDs sämtliche Singles des Synthiepop-Duos Pet Shop Boys von 1985 bis 2020 in chronologischer Reihenfolge zu bringen, und da geht es schon los: Die von Bobby O produzierten ersten Singles aus dem Jahr 1984 fehlen hier, die „Lost“-EP aus dem laufenden Jahr ist ebenso wenig berücksichtigt wie die „Agenda“-EP aus dem Jahr 2019 sowie diverse Songs, die lediglich in Großbritannien nicht oder ausschließlich digital als Single erschienen. Derjenige, der alle 14 Alben sowie sämtliche bisherigen Compilations (denn auf denen gab es stets exklusive Singles, die hier wiederum alle berücksichtigt sind; exklusiv für „Smash“ indes gibt es keine) im Regal zu stehen hat, braucht „Smash“ nicht; die paar Single-Edits machen keinen Kohl fett, denen sind im Zweifel die Albumversionen ohnehin vorzuziehen. Bleiben die beiden BluRays, die der erweiterten Box hinzugefügt sind, sowie das Buch mit den Anmerkungen von Neil Tennant und Chris Lowe. Und eine Zeitreise durch fast 40 Jahre Synthiepop mit allen Hochs und Tiefs, die die künstlerische Kurve der Briten in 55 Songs und rund 220 Minuten gut nachzeichnen.
Die Pet Shop Boys benennen ihre drölfzehnte Best-Of quasi nach dem Musikmagazin, für das Neil Tennant noch schrieb, als er Chris Lowe 1981 begegnete: Smash Hits. Natürlich trafen sie sich beim Synthesizerkauf, stellten fest, dass sie die selben Synthiepopbands jener Zeit mochten, und beschlossen, einfach selbst ein Synthiepopduo zu gründen. Die ersten Demos und Singles produzierte Bobby „O“ Orlando in New York, darunter die ersten Versionen von „West End Girls“, „One More Chance“ und „Opportunities (Let’s Make Lots Of Money)“, die allesamt nicht auf „Smash“ landeten. Erst 1985 nahmen sie ihre Songs mit Stephen Hague in London neu auf, veröffentlichten sie teilweise erneut als Singles, schoben das Debütalbum „Please“ hinterher und wurden Weltstars. Hier beginnt „Smash“.
Die erste CD von „Smash“ deckt exakt die Tracks der ersten Compilation „Discography“ ab, allerdings unterscheiden sich die Versionen einiger Songs, mal ist es hier der 7“-Edit, mal dort. Einfach nur die „Discography“ nochmal in den Schuber schieben hätte es also tatsächlich nicht gebracht, auch wenn die Unterschiede marginal sind. Wie auch immer, den Songs der ersten Dekade hört man noch an, dass sich der Synthiepop in vielen Details zunächst grob am Rock’n’Roll orientierte, etwa darin, die Drums wie ein von einem Menschen gespieltes Schlagzeug erscheinen zu lassen, die Songs mithin als Songs aufzubauen und nicht wie ab den Neunzigern als Dancetracks mit einem Beat und diversen Effekten. Nach ihrem besten Album „Behaviour“ verfielen auch die Pet Shop Boys nur zwei Jahre später an den Eurodance, auch wenn chillig-balladeske Songs wie das mit einer unterschwelligen Gitarre angereicherte „Liberation“ wie eine Art Übergang zum trashigen „Go West“ wirkten.
Spielereien mit angesagten Trends gab’s bei den Pet Shop Boys schon vorher, Elemente aus House oder Acid House finden sich in einigen Songs wieder, aber so eingebaut, dass es sich immer noch um Pet-Shop-Boys-Lieder handelt, die sich lediglich in hintergründigen Details bei anderen Genres bedienen. Ab 1993 kippte der Synthiepop allgemein auf allen Ebenen, auch beispielsweise bei Erasure oder Depeche Mode, andere Bands lösten sich zum Wechsel des Jahrzehnts einfach gleich auf. Wie es dem Rock in den Achtzigern erging, der dem Zeitgeist nacheilte und sich verlor, so war es in den Neunzigern mit dem Metal, der sich an den Grunge anbiederte, und eben dem Synthiepop, der zu plakativem Bummbumm wurde – wenn die Protagonisten nicht aufpassten. Bei den Pet Shop Boys funktioniert viel über die Stimme und die Melodien, Tennant hält da die tanzbaren Songs zusammen, die musikalisch eher billig zu sein scheinen, und über die Gäste, wie die Trommler von SheBoom auf „Bilingual“, russische Chöre auf „Very“ und „Bilingual“ sowie die Produzenten, die späten Alben „Fundamental“ (Trevor Horn, ausgerechnet, der haufenweise illustre Gäste mitbrachte) sowie „Electric“, „Super“ und „Hotspot“ (alle Stuart Price, der dem Bummbumm eine Tiefe verleiht, die Lowe allein in seinen Clubtracks irgendwie nicht mehr hinzubekommen scheint) so geil machen. Richtig gut gelingen Lowe indes die chilligeren Songs, die Balladen, die weniger plakativen Kunststücke, etwa „Home And Dry“, das sich zwar bei zeitgenössischen Sounds umhorcht, aber einen wunderschönen Pet-Shop-Boys-Song ergibt. Balladen konnten sie schon immer.
Die auf „Smash“ fehlenden weiteren Songs, die in anderen Ländern als Großbritannien oder lediglich digital als Singles herauskamen, sind absolut verschmerzbar, weil man die auf den Alben ja längst hat, das wären hier lediglich statistische Korrekturen und keine Raritäten. Denn eigentlich braucht man sich bei den Pet Shop Boys um Raritäten-Veröffentlichungen keine Sorgen zu machen, es gibt mit „Alternative“ und „Format“ zwei Doppel-CDs mit Single-B-Seiten sowie mit der „Further Listening“-Rerelease-Reihe der Studioalben stapelweise Extra-CDs mit weiteren Exklusivitäten, Demos, Remixen und sonstewas. Nur die Bobby-O-Demos, die gibt’s nicht nochmal neu. Und so Zeug, das es auf der Soundcloud-Seite der Boys gibt, etwa „Cricket Wife“, der Soundtrack zu „My Beautiful Laundrette“ oder die „Arthur Baker 1986 Remixes“ von „Suburbia“, das dürfte auch nochmal erschwinglich physisch in die Regale wandern.
Ach ja, die BluRay-Disks: Die zu gucken setzt ein Abspielgerät voraus, das ist dem Rezensenten nicht gegeben. Es sind nur 53 Videos auf Disk 1 enthalten, „Love Is A Bourgeois Construct“ und „Say It To Me“ aus der jüngeren Zeit fehlen. Dafür gibt’s auf Disk 2 noch ganz viel Zeug, das eigentlich auch auf die CDs gehört hätte, also digitale Singles, eine Bobby-O-Single, alternative Versionen und Clips zu Songs, die keine Singles waren; insgesamt nochmal 13 Stücke mehr. Ein guter Grund, sich mal einen Player zuzulegen. Damit sind die BluRays der Hauptgrund für die Fans, sich die Box zuzulegen, denn nicht einmal eine die Sammlung begleitende neue Single ist enthalten. Merkwürdig.
CD 1:
01 West End Girls (von „Please“, 1986) 4:28
02 Love Comes Quickly (von „Please“) 3:35
03 Opportunities (Let’s Make Lots Of Money) (von „Please“) 3:38
04 Suburbia (von „Please“) 4:04
05 It’s A Sin (von „Actually“, 1987) 5:01
06 What Have I Done To Deserve This? (von „Actually“) 4:20
07 Rent (von „Actually“) 3:33
08 Always On My Mind (Single 1988, als 12“-Version auf „Introspective“, 1988) 3:54
09 Heart (von „Actually“) 4:17
10 Domino Dancing (von „Introspective“) 4:18
11 Left To My Own Devices (von „Introspective“) 4:47
12 It’s Alright (von „Introspective“) 4:20
13 So Hard (von „Behaviour“, 1990) 4:00
14 Being Boring (von „Behaviour“) 4:51
15 Where The Streets Have No Name (I Can’t Take My Eyes Off You) (Single, 1991) 4:32
16 Jealousy (von „Behaviour“) 4:15
17 DJ Culture (von „Discography“, 1991) 4:14
18 Was It Worth It? (7″ Version) (von „Discography“) 4:23
CD 2:
01 Can You Forgive Her? (von „Very“, 1993) 3:56
02 Go West (von „Very“) 5:04
03 I Wouldn’t Normally Do This Kind Of Thing (7″ Version) (von „Very“) 4:45
04 Liberation (von „Very“) 4:06
05 Yesterday, When I Was Mad (Single Version) (von „Very“) 4:00
06 Paninaro ’95 (Single, 1995) 4:10
07 Before (von „Bilingual“, 1996) 4:05
08 Se a vida é (That’s The Way Life Is) (von „Bilingual“) 4:01
09 Single-Bilingual (von „Bilingual“) 3:30
10 A Red Letter Day (von „Bilingual“) 4:33
11 Somewhere (Single, 1997) 4:43
12 I Don’t Know What You Want But I Can’t Give It Any More (von „Nightlife“, 1999) 4:29
13 New York City Boy (US Radio Edit) (von „Nightlife“) 3:20
14 You Only Tell Me You Love Me When You’re Drunk (von „Nightlife“) 3:16
15 Home And Dry (von „Release“, 2002) 3:58
16 I Get Along (Radio Edit) (von „Release“) 4:11
17 Miracles (Radio Edit) (von „PopArt“, 2003) 3:57
18 Flamboyant (7″ Mix) (von „PopArt“) 3:40
CD 3:
01 I’m With Stupid (von „Fundamental“ ,2006) 3:27
02 Minimal (Radio Edit) (von „Fundamental“) 3:38
03 Numb (Single Edit) (von „Fundamental“) 3:30
04 Love Etc. (von „Yes“, 2009) 3:32
05 Did You See Me Coming? (von „Yes“) 3:44
06 It Doesn’t Often Snow At Christmas (New Version) (von „Christmas EP“, 2009) 3:52
07 Together (Ultimate Mix) (von „Ultimate“, 2010) 3:30
08 Winner (von „Elysium“, 2012) 3:49
09 Leaving (von „Elysium“) 3:51
10 Memory Of The Future (New Single Mix) (von „Elysium“) 3:36
11 Vocal (Radio Edit) (von „Electric“, 2013) 3:25
12 Love Is A Bourgeois Construct (Nighttime Radio Edit) (von „Electric“) 4:12
13 Thursday (Radio Edit) (von „Electric“) 3:56
14 The Pop Kids (Radio Edit) (von „Super“, 2016) 3:43
15 Twenty-Something (Radio Edit) (von „Super“) 3:41
16 Say It To Me (New Radio Mix) (von „Super“) 3:11
17 Dreamland (von „Hotspot“, 2020) 3:28
18 Monkey Business (Radio Edit) (von „Hotspot“) 3:11
19 I Don’t Wanna (Radio Edit) (von „Hotspot“) 3:21