Pet Shop Boys – Nonetheless – x2/Parlophone 2024

Von Matthias Bosenick (24.05.2024)

Alles erstaunt: Die Debüt-Single „West End Girls“ der Pet Shop Boys wird 40 Jahre alt – und das im Synthiepop verankerte Achtziger-Duo ist mit seinem 15. Album „Nonetheless“ im Jahr 2024 relevant, und zwar nach wie vor und kontinuierlich und nicht etwa als monetär orientierte Retro-Reunion. Interessanterweise greifen die Engländer hier mehr auf alte Achtziger-Elemente zurück als auf den zurückliegenden Alben, klingen damit aber nicht altbacken, im Gegenteil: Es lohnt sich einfach immer, neue Musik von den Pet Shop Boys zu kaufen, auch wenn’s mal Abstriche gibt. Die Bonus-EP mit den vier Neuversionen alter Hits etwa ist streitbar, aber verträglich. Und sie singen ein Loblied auf die Flippers, uh!

Zum klassischen Synthiepop, auch gern mit italienischer Prägung, gehören die Zwei-Ton-Bassläufe, und diese bauen die Pet Shop Boys auf „Nonetheless“ gern ein, indes unauffällig, nicht so aufdringlich wie vor 40 Jahren üblich, man muss schon hinhören, um sie wahrzunehmen, und dann freut man sich, weil – irgendwie verleiht dieser Move der Musik des Jahres 2024 etwas Frisches, Unbekümmertes, Freundliches, Sonniges. Dazu kommen Samples, synthetische Handclaps und Klicker-Geräusche, die man noch von früher kennt, die die Boys hier abermals songdienlich einbauen, in eine Musik, die gleichzeitig im Hier und Jetzt stattfindet und zeitlos ist. So hätte ein Album des Duos in den Achtzigern rein technisch noch nicht klingen können, obschon sich „Dancing Star“ auf einem alten Album der beiden gut gemacht hätte, und gleichzeitig klingen selbst Epigonen heute nicht so gut wie „Nonetheless“. Die Pet Shop Boys sind eigen und unverwechselbar.

Das Album verfolgt die vertraute Mischung aus discotauglichen Dancetracks und Balladen, greift also den nach den großartigen Club-Alben „Electric“ und „Super“ mit „Hotspot“ wieder eingeschlagenen alten Weg auf. Zusätzlich zu seinen Synthies und – ja – Gitarren, die beide Boys schon ewig gern spielen, setzt das Duo ein fettes Orchester ein, das dem als klinisch und kalt verschrienen Electro-Sound eine herzliche Wärme verleiht. Zudem fällt dem Duo ein Haufen erinnernswürdiger Melodien und Hooks ein, das Album ist nicht einfach nur ein Reigen netter Sounds, Beats und Synthieflächen, sie haben Songs, sie haben Hits und sie haben ein Händchen dafür, ihre Ideen so zu bündeln, dass das Format Album relevant bleibt.

Vier zu sechs steht es auf „Nonetheless“ mit Balladen zu Discosongs, und Balladen können sie einfach. „New London Boy“ ist dabei ein persönlicher Song, in dem Sänger Neil Tennant davon erzählt, wie es sich damals anfühlte, als er in der Metropole aufschlug; das Stück ist als Ergänzung zum Klassiker „Being Boring“ gemeint. Wie geil der fast Siebzigjährige dieses und überhaupt alle zehn Lieder singt! Kurios wiederum wird es, sobald die Pet Shop Boys für eine verschriene, aber extrem erfolgreiche Gattung schwärmen: „The Schlager Hit Parade“ feiert das urdeutsche Genre in Text und Sound, und was daran besonders positiv auffällt, ist, dass Chris Lowe es auf „Nonetheless“ grundsätzlich vermeidet, seinen Synthies cheesy Töne abzuringen, was ihm seit den Neunzigern hin und wieder passierte. Explizit feiern die Boys die Flippers, und das ist wahrhaftig schräg, führten jene doch die musikalische Beliebigkeit in den Schlager ein, der zuvor noch von echten Musikern und Komponisten gestaltet wurde. Aber bei den Pet Shop Boys klingt selbst dieses Lied – mit Weihnachtsreferenzen auch noch! – gut. Und mit Gitarren, ausgerechnet hier! Humor sowieso, den zeigen die Boys ja schon spätestens mit dem Cover von „Actually“.

Wer hätte das gedacht, April 1984, als „West End Girls“ in der Version von Bobby O erstmals im Radio lief und man von diesem dunklen, beinahe als Rap dargebotenen Synthietrack sofort angefixt war, dass das dazugehörige Duo nicht nur das Ende der Achtziger und den Eurodance, sondern auch die Zeit überhaupt überdauern würde. Ein Punkt für das Duo war seit jeher, dass es sich aktuelle Trends zu eigen machte und in die eigenen Sounds integrierte; paradox genug, dass dies auf „Nonetheless“ genau nicht der Fall ist, sondern die Boys komplett bei sich bleiben, und damit so erfolgreich sind wie seit 30 Jahren nicht mehr. Welche Synthiepopband begleitet die Pet Shop Boys denn seitdem noch bis heute durchgehend? Erasure – die nie wieder an ihre relevante Zeit in den Achtzigern anknüpfen konnten, künstlerisch wie kommerziell, und deshalb einfach längst ihr Ding machen, was gut ist, aber nicht ganz so bewegend wie eben „Nonetheless“. Das war’s, alle anderen hatten Auflösungen und Wiedervereinigungen – New Order, Soft Cell – oder dümpeln heute zusätzlich noch lediglich mit ihren alten Hits auf abgehalfterten Partys Marke „Die Stars der Achtziger“ herum und generieren keinerlei bemerkenswerte neue Musik mehr. Oder sie heißen Depeche Mode, machen seit 30 Jahren eher uninspirierte Musik, füllen damit immerhin Stadien und stehen damit als dritte neben Erasure und den Pet Shop Boys. Wenn selbst die Rumpelrüpel Sleaford Mods – Jahrzehnte nach East17 – „West End Girls“ ganz unironisch feiern und covern! Und wenn My Robot Friend schon 2002 kniefallend behaupteten: „We’re The Pet Shop Boys“! Und wenn Robbie Williams das auch tat!

Strittig ist lediglich die Bonus-EP „Furthermore“, auf der die Pet Shop Boys vier alte Hits neu einspielen. Neuversionen eigener Songs im Dance-Gewand, das den Originalen die Seele nimmt und sie lediglich clubtauglich macht, das hätte auch von den Stars On 45 kommen können. An „Heart“, „Being Boring“, „Always On My Mind“ (das von Elvis) und „It’s A Sin“ war ja gerade die Musik so besonders, heute klingen sie quasi gleich und gleichgültig. Nette Spielerei, mehr nicht, da ist selbst die Schlagerparade besser.

Nichtsdestoweniger: Danke für 40 Jahre Lebensbegleitung, für tolle Konzerte, unzählbare grandiose Songs und insbesondere für das Knaller-Triptychon aus „Behaviour“, „Fundamental“ und „Electric“!