Von Guido Dörheide (20.09.2023)
HINWEIS: Hier geht es nur um die CD „Sinfonia“ und nicht um die DVD. Begeistert von der Musik habe ich nicht gewartet, bis ich das Bildmaterial gesichtet habe, sondern komplett begeistert und enthemmt gleich mal losgeschrieben. Alsdann, gehen wir es an:
New Model Army. NMA. Oder einfach nur „Army“, wie Schulfreund Martin sie damals nannte. Wie lange finde ich die schon toll? Nun, seit 1989, seit ich mir „Thunder And Consolation“ auf der Klassenfahrt nach Würzburg in der 10. Klasse des Humboldt-Gymnasiums kaufte – auf einen Tipp meiner Klassenkameradin Silke hin, die ich sinngemäß fragte, ob Army nur so ein Modetrend oder eine feste Größe auf dem Weg der Bildung eines erwachsenengerechten Musikgeschmackes sei – und Silke (die mir kurze Zeit später, als ich von Vinyl auf CD umstieg, meine komplette Toten-Hosen- und Ärzte-Sammlung abkaufte, danke nochmal dafür; die indizierten Ärzte-Alben hatte die Mutter meines Freundes Klaus für mich bei Salzmann in Braunschweig erstanden) meinte, Army könnte ich unbesehen kaufen, von denen wäre immerhin „51st State“. Danke, Silke, denn New Model Army begleiten mich seitdem durch mein Leben und ich feiere diese Band, als gäbe es kein Morgen.
Auf der Rückfahrt von der besagten Klassenfahrt war mir echt schlecht gewesen vom letzten Abend der besagten Fahrt (Schaumwein trifft minderjährigen Magen, das hat dann so nichts von „Purity“, das erst einige Jahre später erscheinen sollte – also nahm ich wenigstens „Thunder And Consolation“ als einen positiven und vor allem bleibenden Eindruck aus der Frankenmetropole mit nach Hause.)
Ich wertschätzte den Tonträger fortan auf das Vortrefflichste und ward dann – 1990 war es wohl – auf der Rückfahrt meiner und des Herausgebers dieser Seiten’s Stammdisko, dem Exil in Bodenteich, einer Musik gegenwärtig, die mir den Atem raubte. Hans-Heinrich, der Bruder meines Freundes Joachim, der mir die Mitfahrgelegenheit bei seinem großen Bruder verschafft hatte, meinte auf meine Frage „Was ist das?“ nur „Impurity, das neue Album von New Model Army.“
Und seitdem ist es um mich geschehen: „Thunder And Consolation“ und „Impurity“ sind das Ding für mich, wenn es um New Model Army geht, und selbst „51st State“ kackt dagegen total ab, egal wie geil es eigentlich ist. Und die Chöre sing’ für mich.
Wie jetzt echt? Chöre? New Model Army mit Orchester? Nein, für so einen abgeschmackten Kram würden sich Justin Sullivan und seine Mannen niemals hergeben.
Und jetzt auf einmal „Sinfonia“. New Model Army mit Sinfonieorchester. Muss das sein? Und vor allem: Geht sich das aus? Die Antwort auf die erste Frage lautet „Muss es nicht!“ und die Antwort auf die zweite Frage lautet „Ja!!!“.
„Sinfonia“ funktioniert genauso perfekt wie jedes bisherige New-Model-Army-Livealbum. Justin Sullivan, inzwischen in der zweiten Hälfte des siebten Lebensjahrzehnts, hat immer noch eine Stimme, wie er sie immer hatte, und spricht zwischen den Stücken immer wieder in seinem typischen und überaus liebenswerten Dialekt zu den Fans, New Model Army donnern mit Gitarre/Bass/Schlagzeug los wie immer, im Hintergrund spielt das formidable Orchester und an wenigen Stellen (beispielsweise bei „Ballad“) übernimmt dieses komplett die Rolle der Band. Interessanterweise wirken sämtliche Songs nicht so, als wären sie durch Orchester angereicherte Rocksongs, alles klingt vielmehr, als gehöre es genau so. Justin Sullivans tolle Stimme, seine Fähigkeit, jedwedes Publikum sowohl durch seine Präsenz als auch durch seinen Vortrag mitzureißen, die Präsenz der Band und die Unterstützung des Orchesters prügeln das Auditorium geradezu auf den Höhepunkt des Album hin: Track 18, „Purity“. Also das Titelstück des 1990er Magnum Opus „Impurity“. Von Sullivan angekündigt als „Probably the truest Song“ aus dem an wirklich truen Songs nicht armen Oeuvre von New Model Army, baut das Orchester das Stück langsam auf Blasinstrumenten auf, dann lässt Sullivan die Gitarre unverzerrt schrammeln, alles hört sich an wie 1990, nur das damalige Keyboard wird heuer durch ein vielköpfiges Orchester ersetzt – Wahnsinn. „I don’t give a damn that I never will be worthy, fear is the only enemy that I still know“. Gänsehaut. Mir stehen die Tränen in den Augen und ich frage mich, was das jetzt noch toppen kann. Sullivan und seine Mannen setzen mit „Vagabonds“ (DEM Indie-Disko-Klassiker der frühen 90er), dem wunderschön melancholischen „Green And Grey“ von der oben erwähnten „Thunder And Consolation“ sowie dem hier sich zunächst langsam aufbauenden Jahrhundertbrecher „Wonderful Way To Go“ aus dem Jahr 1998 nochmal allem die Krone auf.
Mit „Sinfonia“ haben NMA ein wunderschönes Best-of-Album herausgebracht (auch wenn Songs wie „51st State“ und „Vengeance“, die in diesem Kontext nicht so ganz gepasst hätten, hier fehlen), und zeigen eindrucksvoll, was sie zu einer DER britischen Indie-Bands der letzten Jahrzehnte überhaupt machen und sorgen bei allen jahrzehntelangen Fans für Tränen in sämtlichen Knopflöchern. Danke dafür!
[Nachsatz: Das machen sie besser als Metallica, die einfach nur ein Orchester zu ihrem Metal dudeln ließen – sie komponieren die Stücke eigens neu und arrangieren sie um, das Album hat also tatsächlich einen musikalischen Mehrwert. Und sie spielen „Ocean Rising“, das beste Justin-Sullivan-Stück, das nicht von New Model Army ist. Die ungewöhnlichere NMA-Liveumsetzung ist nur „Night Of A Thousand Voices“, auf der allein das Publikum den Gesang übernimmt. Unmöglich hingegen ist die Methode, das auf 1000 Stück limitierte und teure Earbook mit Bonus-CD und BluRay noch vor offizieller Veröffentlichung als ausverkauft zu deklarieren und es danach, sobald sich die Fans mit dem regulären Format eindeckten, plötzlich doch wieder anzubieten. Ein Schelm, der denkt! (Matthias Bosenick)]