Von Guido Dörheide (12.08.2023)
Aurora Borealis. The icy sky at night. Ohne Scheiß: Erst durch Neil Young weiß ich, dass Marlon Brandos Nachname sich nicht „Brandow“ (gelegen in Brandenburg?) ausspricht, sondern „Brändoh“. Und durch ihn – und nicht durch den 1995er Diseney-Film oder durch das Ikke-Hüftgold-Remake von AnnenMayKantereits eigentlich nicht zu beanstandenden Song aus [dem Jahr] 2016, den ich auf zahlreichen Silberhochzeiten meiner Jahrgangsgenossen über mich ergehen lassen musste (und ich verstehe immer noch nicht, warum auch immer „Kling Klang“ von Keimzeit in diesem Zusammenhang gespielt wird, eigentlich doch auch ein tolles Lied – scheißegal, ich lasse das Lasso drinne und schreibe einfach mal weiter, was mir so einfällt.) Also Wurscht: Marlon Brando, Pocahontas and me. So soll es sein für alle Zeit. Und dieser Song war für mich immer verknüpft mit Neil Youngs 1979er Album „Rust Never Sleeps“. Und das war für mich DAS bahnbrechende Young-Album: Die erste Hälfte akustisch mit „My My, Hey Hey“ und die zweite Seite elektrisch mit „Hey Hey, My My“ – jawiegeiel, und die restlichen Songs waren auch Weltklasse.
Und dann war da noch „Like A Hurricane“ – der klassische Rausschmeißer im Exil in der Industriestraße zu Bodenteich (damals was noch nicht alles bad, was nicht glänzte, die Banken nicht und Bodenteich nicht), zu dem man mit geschlossenen Augen, die Matte vor ebendenselben hängend, tanzte und dann am Ende die Augen aufmachte und feststellte, dass das Licht angeschaltet wurde. Trotz dem sich hernach bietenden Anblick ist man am nächsten Samstag wieder ins Exil gegangen – those were the days.
2007 erschien dann „Chrome Dreams II“ mit dem ikonischen Lincoln-Logo auf dem Cover, und die Öffentlichkeit wurde gewahr, dass es wohl mal ein „Chrome Dreams“ gegeben haben musste, nur seltsamerweise war das in keiner Neil-Young-Diskografie gelistet.
Kein Wunder: Das Album war für 1977 vorgesehen, ist dann aber nie erschienen. Zehn der für „Chrome Dreams“ vorgesehenen Stücke veröffentliche Young auf anderen Alben, allen voran „Like A Hurricane“, „Homegrown“, „Star Of Bethlehem“, „Will To Love“ und „Hold Back The Tears“ auf dem 1977er „American Stars’n Bars“ sowie „Look Out For My Love“ auf „Comes A Time“ 1978. „Pocahontas“, „Powderfinger“ und „Sedan Delivery“ kamen 1979 auf „Rust Never Sleeps“ unter, „Captain Kennedy“ auf dem leider zumeist vergessenen 1980er „Hawks & Doves“. Die beiden bisher nicht genannten Songs „Too Far Gone“ und „Stringman“ wurden erst viele Jahre später auf „Freedom“ (1989) und „Unplugged“ (1993) veröffentlicht.
Wäre „Chrome Dreams“ bereits 1977 erschienen – es wäre DAAHAAAAS Neil-Young-Album der 1970er Jahre aller Zeiten gewesen. Wie „Rust Never Sleeps“ enthält es sowohl akustische Songs, auf denen Youngs Gitarrenkompetenz und Stimme eindrucksvoll zum Einsatz kommen, als auch mit Youngs legendärer Begleitband Crazy Hose eingespielte voll instrumentierte Stücke, die ebenso eindrucksvoll deutlich machen, woher Young seinen in den 1990er Jahren erworbenen Titel des „Paten des Grunge“ her hat.
Mein Favorit auf dem Album ist – nachdem ausgerechnet dieser Titel auf „Freedom“ leider völlig zu Recht im Schatten des Jahrtausendgassenhauers „Rockin’ In A Free World“ gestanden hat – „Too Far Gone“. Hier erleben die Hörenden, wie Young einen Text hammerhart auf den Punkt bringt und dazu eine Folkmusik auf die Gitarre schmeißt, wie es kein anderer Musikant auf dem Planeten jemals auf dem Kasten seiner Lage zu sein gewesen gehabt sein wird. Dran am Seien.
„We had drugs and we had booze, and we still got somethin’ to lose“. Neil Young bringt es auf den Punkt wie kein Zweiter, und legt nach mit „And by dawn I wanted to marry you“. Soo muss Heiratsantrag und nicht anders.
Die bereits von den stattdessen oder danach erschienenen Alben bekannten Songs sind auf „Chrome Dreams“ teilweise in anderen, weniger perfekt produzierten, sparsamer instrumentieren Versionen enthalten, was ihnen bucket full of spades an zusätzlichem Charme verleiht – Beispiele dafür sind das eingangs schon erwähnte „Pocahontas“, „Sedan Delivery“ und „Powderfinger“.
Wenn man mich fragt, wer einst zur Rechten Gottes (den es nicht gibt) sitzen wird, Bob Dylan oder Neil Young – für mich gehört Young da hin. Alle paar Jahre ein exzellentes neues Album, dazu die ganzen Rewiederneuveröffentlichungen aus seinem Archiv wie hier jetzt „Chrome Dreams“, er hat den Grunge miterfunden und außer „Heart Of Gold“ im Jahr 1972 nie einen Nummer-Eins-Hit gehabt und steht immer auf der Seite der Guten. Ist der Allerbeste, meine ich.