Von Matthias Bosenick (30.03.2023)
Dieses Mal geht das Duo Nac/Hut Report aus Kraków etwas anders an seine zerhackte Entspannungsmusik heran: Kurzwellen-Radiosignale aus aller Welt bilden die Grundlage für das, was auf „Absent“ wie geschredderter Dreampop der Marke Cocteau Twins klingt. Als hätte man Elizabeth Fraser zu dicht am Gartenabfallhäcksler geparkt. Immer wieder erstaunt, wie eine dergestalt zerstörte Musik so wunderschön sein kann. Vermutlich, weil sie mit einem solch ätherischen Gesang versetzt ist, der die Samples und Electroeffekte bündelt, sich aber nicht davon ausnehmen kann, selbst bisweilen elektronisch abgewürgt zu werden. Wunderschön, wie immer!
Man fühlt sich in die Pionierzeit der Samplerexperimente zurückversetzt, als Leute mit ausreichend Geld für solches Equipment Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger ihr Experimentarium auf Tonträgern bannten, als sie die obskursten Sounds generierten und sie als Grundlage für Musik verwerteten. Die Grundlage hier besteht aus Kurzwellen-Intervallsignalen diverser Sender rund um den Globus, bei denen es sich um kurze musikalische Sequenzen handelte, die in Pausen zwischen Radioübertragungen gesendet wurden, lässt das Duo wissen. Die verwendeten Samples reichen hier tatsächlich einmal um die Welt: Ungarn, Polen, Australien, Schweden, Usbekistan, Deutschland, Kuba, Korea, Russland, Moldawien, Armenien, Belarus, Bulgarien, Litauen, Georgien, Tschechoslowakei, Kanada, Turkmenistan, Ukraine, Argentinien, Schweiz, Finnland und Albanien. Zudem verwendet das Duo Samples von der ersten aufgezeichneten Radioübertragung überhaupt, Edisons Weihnachtsabend-Mitschnitt aus dem Jahr 1906; Wachswalzensamples bildeten bereits das Ausgangsmaterial für das Vorgängeralbum „DOM 1919“. Ja, eine Analogie ploppt sofort auf: „Radio Prague“ von OMD auf deren Album „Dazzle Ships“.
„Absent“ ist indes noch experimenteller als dieses Vergleichsalbum, kompromissloser nämlich. Der als LM abgekürzte, andernorts als Li/ese/Li aufgeführte Tonkünstler nimmt sich die genannten Samples, extrahiert hervorstechende Elemente, loopt sie, verbiegt sie, zerstört sie, fügt sie aneinander, hintereinander, lässt liebliches Glockenspiel, eine vergessene Spieluhr oder leises Orchester über dezenten Glitches und Noises klimpern, verleiht sämtlichen noch so harmonischen Melodien eine Schräglage, unterbricht den Fluss mit unerwarteten Breaks. Beats gibt es keine, das Tempo ist gemächlich, Rhythmen entstehen höchstens aus den Loops, und über all dem Drone schwebt Jadwiga Tabas Stimme, die wie ein Echo aus dem Totenreich ihre unverständlichen Lieder haucht, sie förmlich atmet. So schön! Wie immer bei Nac/Hut Report geht alles ineinander über, Grenzen zwischen den Tracks lassen sich bewusst kaum ausmachen, was auch daran liegt, dass man von der Musik so verzaubert ist.
Bei Nac/Hut Report handelt es sich also um zwei Personen, über die einerseits viel und andererseits gar nichts herauszufinden ist. Der männliche Teil soll Italiener sein, heißt es an einer Stelle, und bis auf die Initialen LM gibt das Duo nichts von ihm preis. Der weibliche Teil kommt ursprünglich aus Poznan und ist heute in Kraków auch als bildende Künstlerin aktiv. Jadwiga Tabaczynska veröffentlicht auch als TABA oder Brigitte Roussel sowie JT oder BR und verbrachte einige Zeit in Italien, woher wohl auch die Verbindung zu L.M. rührt. Spannend genug, dass es in Zeiten des Internets überhaupt noch Geheimnisse gibt, nicht einmal die Seite der gemeinsamen Agentur Double Hallucinative verrät da mehr. Die Musik von Nac/Hut Report ist passenderweise ein vertontes Geheimnis. Wundervoll!