Von Matthias Bosenick (10.09.2015) / Auch erschienen auf Kult-Tour – Der Stadtblog
Endlich. Endlich!!! Das wurde aber auch Zeit. Vier Jahre nach „Von Müßiggängern und anderen Taugenichtsen“ kommt mit „Castafiore“ endlich das Album, dessen älteste Songs die Band schon während der Aufnahmen zum Vorgänger live spielte. Ganze zwei, drei Lieder dieses Dutzends kennt der Rezensent nicht bereits von Auftritten, den Rest kann er auswendig mitsingen; die Vorfreude auf die Studioversionen war riesig, die Freude über sie ist es ebenfalls. Das Album macht einen Schritt voraus und einen zurück: Thematisch ist es nicht mehr so homogen und durchgehend ernsthaft wie der Vorgänger, sondern wagt auch manchen Rückgriff auf den alten Müller-Humor; gleichzeitig vertieft Müller in anderen Songs seine inhaltliche Seriosität, oft in Bezug auf Beziehungskonzepte und wie sie sich auf diejenigen auswirken, die sich auf sie einlassen. Und auch in einen vordergründigen Scherz steckt Müller immer etwas Hintergründiges. Nicht zuletzt überzeugt das Quartett wie immer auch musikalisch: Zwar ist der 50er-Schlager-Bossa-Sound etwas beiseite gerückt, dafür wagt die Band hier auch mal mitreißende Discorhythmen und lässt dem ausufernden Rock mehr Raum. Alles auf so hohem Niveau, dass die leicht in Schieflage eingestreuten Elemente das nahezu perfekte Ergebnis nur umso fester am Boden verankern.
Und trotz der brillanten Musik sind es die Texte, die Müller & die Platemeiercombo so besonders machen. Man muss zuhören, man könnte etwas verpassen, und zwar nicht einfach nur irgendwelche Pointen, sondern inhaltliche Wendungen, die den Hörer hinterrücks erwischen und ihn seiner selbstbetrügerischen Sicherheit berauben. Wie ein Taschenspieler zaubert Müller in den unerwartetsten Momenten Spiegel hervor, die er dem Betrachter vorhält. Wie in der Eskapismusphantasie „Curaçao“, in der Müller für jeden Alltagsmüden nachvollziehbar vom Verschwinden singt, und dann feststellen lässt, dass man vor sich selbst nicht fliehen kann; solches kann durchaus wehtun, weil es eben stimmt und leider nicht jedem bewusst ist. Die offene Beziehung, die sich in Selbstbetrug mündend als emotionale Katastrophe erweist, behandelt „Sein Spiel“. Besonders dunkel ist „Keine Rose ist keine Rose“, das schmerzhaft das Bild einer gescheiterten Hoffnung in eine alte Partnerschaft zeichnet. Auf dem Album ist das Lied übrigens trotz aller ausufernden Opulenz um einige Minuten kürzer als live; wenn die Band in sich versinkt, macht sie aus dem schleppend startenden Stück gern ein noch größeres psychedelisches Monster als hier.
Selbst die vermeintlichen Scherzlieder sind eigentlich keine. „Alles außer Tiernahrung“ ist eine Konsumkritik, „Björn Hellmark“, Hauptfigur der „Macabros“-Reihe, hinterfragt die Motivation in Bezug auf die Teilnahme am allgemein Gängigen, und „Ich bin nur wegen der Vorgruppe da“ entlarvt selbsternannte Kulturhipster. So richtig einfach nur um seiner selbst willen ist eigentlich nur das treibende Trinklied „7 Drinks, 6 Stunden Schlaf“ da.
Hach, und dann ist da ja eben noch die Musik. Die Band beherrscht abenteuerliche Rhythmuswechsel, aus dem Lateinamerikanischen in den Rockgroove geht es wie nebenbei. Natürlich ist manches Lied wie früher und also wie immer im Swing oder in sonst einem vermeintlich veralteten Rhythmus getaktet, aber wie gesagt, der eher straighte Rock dominiert, und doch weiß die Band, dass der alleine nicht mehr so viel wert ist, und verlegt sich daher aufs Gniedeln, Herumarrangieren, Abdriften, auf mehrstimmigen Gesang, Backgroundshouts und gottlob auch wieder den gelegentlichen Einsatz von Cora Coriander. Und auf (programmierte) Streicher, die finden auch ihren Platz und fügen sich sogar überraschend stimmig ein.
Bei Müller & die Platemeiercombo geht es also um mehr als nur Text und um mehr als nur Musik. Wer auf nur eines von beiden scharf ist, kommt voll auf seine Kosten, weil er das andere noch als Geschenk dazu erhält. Wem beides wichtig ist, wird glücklich. Dies werden auch Vinylfreunde: „Castafiore“ soll auch als LP veröffentlicht werden, mit beigelegter CD. Dann sieht man das je nach Phantasie des Betrachters möglicherweise anzügliche Cover auch mal in größer.