Mit Knecht Ruprecht durchs Sommerloch: Lesung mit Hardy Crueger und Till Burgwächter – Live im Café MokkaBär, Braunschweig, am 8. Juli 2021

Von Matthias Bosenick (09.07.2021)

Welche Jahreszeit eignet sich besser zum ausgiebigen Weihnachtsbashing als der Sommer? Wenn der zeitliche Abstand zum verlogenen Konsumfest am größtmöglichen ist, die Temperatur immerhin 12 Grad höher als am Heiligen Abend und das kühle Bier attraktiver erscheint als der lauwarme Wein? Die beiden Braunschweiger Autoren Hardy Crueger und Till Burgwächter holen ihre 2020 coronabedingt ausgefallenen Weihnachtslesungen an nur einem Abend im weihnachtlich dekorierten Café MokkaBär nach, indem sie Auszüge aus ihrem gemeinsamen Buch „Braunschweig‘sche Weihnacht“ vorlesen und damit dem zwölfköpfigen (ausverkauft!) Publikum, das ganz wie die Autoren die Rückkehr ins Kulturleben begrüßt, jeder auf die ihm eigene Weise vor Augen halten, wie schön es ist, dass man sich derzeit mit ganz anderen Gesellschaftszwängen herumzuplagen hat als mit dem Fest der üblen Klischees und Rituale.

Gott, ja: Schrottwichteln! Familienfeste! Lebendige Adventskalender! Kinderchöre! Betriebsfeiern! Glühweinkater! Und was der Einfallsreichtum der kapitalistischen Besinnlichkeitsfantasten sonst noch so hergibt: Till und Hardy demaskieren das vermeintliche Fest der Liebe auf eine erheiternd boshafte Weise. Jeder mit eigenem Zungenschlag: Hardy bleibt in seinem Metier, prosaische Thrillersituationen zu kreieren, die er in adventliche Stimmung kleidet und deren Pointen dadurch kaum weniger verstörend sind. Geplatzte Drogendeals beim Schrottwichteln mit Beinschuss und Flüchtlingsparanoia, mit Alkohol zur Strecke gebrachte Einbrecher und im Schneemann vergessene Kleinkinder: Mit bisweilen nicht nur unterschwelligem Humor transportiert Hardy die Zuhörer in die tiefsten Abgründe menschlicher Vorstellungskraft. Anschaulich schlüpft er dabei in die Sprechrollen seiner Figuren und nimmt den Geschichten damit einiges an Brutalität, gottlob: Man ist froh, dass jemand mit solch einer kriminellen Fantasie doch lieber Autor geworden ist.

Ohne Umschweife steuert Till in seinen Texten direkt aufs Lästern zu. Die sattsam bekannten Situationen, in denen man sich als Teil dieser Gesellschaft beinahe zwangsweise alle Jahre pseudobesinnlich wieder findet, seziert er auf ihre Tumbheit, Absurdität, Banalität, Inkonsequenz, Nervigkeit, und das mit einem gekonnt schnoddrigen Tonfall. Sein Vortrag ähnelt dabei dem eines Auslandskorrespondenten aus den Tagesthemen, was die dergestalt transportierten Inhalte nur noch lächerlicher und die Erheiterung des Publikums umso größer macht. Das Fest der Seitenhiebe. Und doch bekennt eine Frau im Publikum wehmütig, sie habe den Glühwein auf dem Braunschweiger Weihnachtsmarkt im zurückliegenden Winter vermisst. Ja, schon!

Mit seinen tiefroten Wänden stellt Ollos Café MokkaBär von sich aus bereits die perfekte Kulisse für eine Weihnachtslesung dar. Das Autorenduo fügt sich harmonisch in die Kulisse ein, sozusagen. Dazu kreierte Ilona eigens Glühweineis am Stiel, was aufgrund großer Skepsis von Seiten der Gäste leider nur begrenzten Absatz findet, wohingegen von den gottlob erst kurz zuvor abgelaufenen, auf einem zur Wandfarbe farblich passenden sternförmigen Teller kredenzten Schokoladenlebkuchen zum Ende der Veranstaltung lediglich Krümel übrigbleiben. Und wie es der Zufall will, entdeckte der Berichterstatter justamente an diesem Nachmittag im östlichen Ringgebiet auf der verzweifelten Suche nach seinem Auto einen Karton mit Oster- und Weihnachtsdeko am Gehwegrand und steckte für die Lesung vier große Keramikweihnachtsmänner ein. Kann man sich nicht ausdenken.

Eigentlich müsste man die Lesung ja als Akt der Gewalt auffassen, die die Autoren mit ihren Inhalten dem coronabedingt zahlenmäßig begrenzten Publikum antun, aber die Gäste im Café und die draußen an den Kulturkatzentischen feiern die Aktion berechtigterweise. Zudem kommt zusätzlich zur sommerlichen Jahres- auch eine grundsätzliche Endzeitstimmung auf, angesichts am Ereignishorizont drohender griechischer Buchstaben, da gibt man sich gern dem anachronistischen Festbashing hin – wer weiß, wie lang das so schon wieder nur noch möglich ist. Feiern wir also am Wochenende schon mal prophylaktisch Silvester.