Von Matthias Bosenick (31.01.2019)
Bei den ganzen Projekten, die der umtriebige Scott Kelly neben Neurosis so betreibt, kann man schon den Überblick verlieren, besonders, wenn man spät versucht, da noch einen Einstieg zu finden. Den sucht man dann vielleicht am besten über ein Projekt, das erst das zweite Album vorweist: Mirrors For Psychic Warfare, zusammen mit Sanford Parker (unter anderem bei Buried At Sea). Und was man da bekommt! Neurosis-Sludge-Drone durch den Industrial-Fleischwolf gedreht, also schleppenden Noise, aber mit Harmonien, Melodien und einem unerwartet klaren Gesang. Zählt zum Besten des vergangenen Jahres.
Das Duo bewahrt die Ruhe, auch wenn Ruhe für die meisten Leute anders klingen dürfte als die auf „I See What I Became“. Man hört, dass die Beteiligten sich ansonsten Saiteninstrumente umhängen, die sie tief stimmen und langsam spielen, und mit solchen Sounds als Grundlage erschaffen sie eine Form von Industrial, die sich trotz des Gitarreneinsatzes weniger am US-amerikanischen als am Europäischen Vorbild orientiert, also eher organisch unterfütterten Rhythm And Noise bietet als das Elektrometalbrett.
Dabei überrascht, wie harmonisch Kelly und Parker die acht Tracks trotz der krassen Sounds gestalten. Der Gesang ist tief, aber klar, und anders als die Musik nicht verzerrt; und der Umstand, dass sich überhaupt Gesang in diese wuchtigen Geräusche bettet, löst noch die größte Verwunderung aus. Damit und mit den dunklen, aber schönen Harmonien generieren Mirrors For Psychic Warfare beinahe Pop. Manche Strukturen wecken entfernte Erinnerungen an die Depeche Mode aus der Mitte der Achtziger, als Dunkelheit und Industrialelemente noch selbstverständlich Teil der Popcharts waren. Nach eigenen Angaben schielt das Duo indes eher in Richtung Godflesh, Foetus oder Skinny Puppy, und diese Einflüsse sind zwar nicht von der Hand zu weisen, aber ebensowenig dominant. Dafür haben die beiden Protagonisten einfach selbst schon zu viel Eigenes auf die Welt losgelassen.
Praktischerweise erscheint das Oeuvre dieses Projektes auf Kellys eigenem Label Neurot Recordings, wie auch die Sachen seiner Hauptband Neurosis und den vielen anderen Tätigkeitsfeldern, wie Tribes Of Neurot – oder Corrections House, bei dem ebenfalls Parker mit von der Partie ist. Zusammen mit Mike Williams und Bruce Lamont spielen sie aber elektrofreien Dronedoom, also etwas gänzlich anderes als Mirrors For Psychic Warfare. Beinahe.
Das Album hat eine solche Wucht und Eingängigkeit, dass man es sehr gern noch auf der Zielgeraden in die Liste seiner liebsten Alben des Jahres 2018 aufnimmt und unablässig immer wieder hört. So schön geht Lärm. Danke!