Marla van Horn – Retrospection – Slithering Black Records 2024

Von Matthias Bosenick (15.01.2025)

Kann man sich beim ersten Anhören gar nicht so recht vorstellen, dass es bei der Musik von Marla van Horn immerzu um so Dunkelheiten geht, Blut, Rost, Hades, Tod und Verderben – so ätherisch, wie die polnische Designerin zu fragilen Soundscapes haucht. Na ja gut, okay, die Soundscapes sind schon reichlich dunkel, obschon beim ersten Eindruck etwas Sakrales mitschwingt. Aber dann dringen gelegentlich so beklemmende Elemente in ihre Choräle ein, da weiß man: So richtig auf der Sonnenseite steht die Künstlerin dann eher doch nicht. Für das Label Stlithering Black Records stellte Marla von Horn eine „Retrospection“ mit neun Tracks aus den zurückliegenden vier Jahren zusammen.

Marla van Horn lässt sich Zeit, die meisten Tracks sind zwischen sechs und acht Minuten lang, nur wenige überschreiten lediglich gerade so die Drei- bis Vierminutenmarke. Lässt man die „Retrospection“ laufen, verliert man sich in den ersten vier Tracks, also in den ersten um die 26 Minuten. Darin hauchsingt van Horn, wie aus weiter Ferne, in leeren Räumen, im Totenreich, ätherisch, entrückt, körperlos. In „Heartbeat“ gibt’s mal so einzelne dumpfe Schläge zu hören, in „Rust“ so industrialartige Einschübe, kaum wahrnehmbar. Alles ergibt einen Fluss, einen Sog, man fühlt sich mehr und mehr in den Abgrund verführt.

Dann kommt „Now When The World Is Darker Than Me“, in dem es erstmals Rhythmen gibt, eher percussive, die dem Track eine Struktur zusätzlich zum Wehgesang verleihen. Eine dronige E-Gitarre begleitet die Soundscapes. Schlagende Strukturgeber fährt van Horn danach erstmal wieder herunter, behält den Gruselfaktor aber bei, mit bei „Blair Witch Project“ abgehörten Horrorsounds, die in „Away“ die Atmosphäre verdunkeln. „Nothingmore“ hat dann wieder mehr Songcharakter, mit leise angejazztem Industrial-Schlagzeug und einem verfremdeten Melodieloop, zu dem van Horn singt und eine grabestiefe Männerstimme flüstert.

Für „Gaia’s Tears“ liebäugelt van Horn musikalisch bei Joy Division, indem sie ein dezentes, langsames Schlagzeug in den großräumigen Keller stellt, und singt dazu erstmals eindeutig vernehmbare Texte zu den im Hintergrund weiterlaufenden Chor-Soundscapes. Im Abschluss „For The Broken Heartet“ begleitet sich van Horn auf einem Piano selbst, auf dem sie ausschließlich die tiefen Tasten bedient, ganz langsam, und damit und mit Streichersounds eine warme, beinahe positive Stimmung als Schlusspunkt im stockdunklen, leeren, uralten Raum stehen lässt. Willkommen zurück in der Realität, die bei Lichte betrachtet kaum weniger düster aussieht, als die Musik klingt.

Im Jahre 2020 startete die in Finnland lebende gebürtige Polin Marla van Horn ihre musikalischen Aktivitäten, nennt sich als Designerin oder Fotografin bisweilen auch MWeiss oder Oldskulllove und hat in der Zeit mehr Alben und EPs auf ihren Zettel geschrieben, als andere in Jahrzehnten. Da war ein solcher Überblick mit lediglich neun Tracks sicherlich eine schwere Wahl. Mit ihrer Herangehensweise empfiehlt sie sich für Fans anderer Solo-Musikerinnen, die sich nicht um Pop-Gepflogenheiten scheren, wie Anna von Hauswolff, Chelsea Wolfe oder Myrkur. Zu ihren Kollaborationspartnern gehörte übrigens auch Xchnum Miiimiiikry alias Jonas Kolb aus Schöningen.

Trackliste:

01 On My Bloody Wings (von „Forsaken . Forgotten . Dead“, 2024)
02 Heartbeat (von „A Daughter Of Hades“, 2022)
03 Dark Water (von „Now When The World Is Darker Than Me“, 2023)
04 Rust (von „Stillness EP“, 2023)
05 Now When The World Is Darker Than Me (von „Now When The World Is Darker Than Me“, 2023)
06 Away (von „Avalanche“, 2023)
07 Nothingmore (von „Tranquilended“, 2022)
08 Gaia’s Tears (von „For The Lost Ghosts“, 2020)
09 For The Broken Hearts (von „Dreams Become Nightmares“, 2021)