Von Matthias Bosenick (02.04.2015)
Mit seinem neuesten Doppelpack, bestehend aus Buch und CD, festigt Marc Domin seinen Stand als wandelnde Provokation. Fischt er auf der Akustik-CD „Lichtreflexe Of The Love“ thematisch noch vornehmlich in beinahe klassischen Punk-Gewässern, tritt er in dem dreigeteilten Buch „Der Todesbiss der schwarzen Nonne“ mehrheitlich über die Ufer des guten Geschmacks. Das Heft ist ein Stinkefinger in sämtliche Richtungen, sowohl formal als auch inhaltlich. Er hält sich an keine Erwartungen und zeigt keinen Respekt vor auch nur irgendetwas. Man fragt sich, was einen so entwaffnend charmanten und großherzigen Menschen künstlerisch so bodenlos werden lässt. Die Lektüre des Buches jedenfalls findet doch sehr unter Schmerzen statt, ein reines Vergnügen treibt Domin dem Leser gekonnt aus. Dafür bekommt man von ihm etwas anderes, was ist es nur: Voyeurismus? Schadenfreude? Genugtuung? Rebellion? Oder schlicht Punkrock?
Das erste Drittel des grob in der 80er-U-Kultur angesiedelten Buches besteht aus Zeichnungen, die der Autor euphemistisch als Comics bezeichnet. In Wahrheit sind es mittelmäßig begabt vollgekritzelte Blätter: Domin kann gar nicht zeichnen, wollte sich mit der Veröffentlichung aber einen Traum erfüllen. Man fühlt sich an seine eigenen Versuche in der Pubertät erinnert, als man die Micky-Maus-Hefte beiseite legte und selbst zu schmieren anfing. Mit einem ähnlichen Humor sind auch Domins Geschichten gespickt, mit Randerklärungen, Lageplänen, falschen Perspektiven, undifferenzierten Figuren; und die Bilder sind durch Linien getrennt, nicht durch Freiräume. Nichts davon hindert aber daran, den Geschichten folgen zu können; das immerhin. Diese wiederum sind typisch Domin: Sie erfüllen häufig Charakteristika von Kurzgeschichten, bilden also einen Ausschnitt aus etwas Größerem ab und enden oft scheinbar willkürlich im Nirgendwo. Wie in den folgenden Kurzgeschichten und dem Märchen fließt auch in den Comics extrem viel Blut, es kommt zu sinnloser Brutalität und abstoßender expliziter Sexualität.
Was die Comics diesbezüglich teilweise nur andeuten, vertiefen die folgenden Geschichten. Literarisch fühlt man sich bei Domin erstaunlicherweise an andere Autoren erinnert, die man durchaus verehrt: Wolf Haas (die zerstückelten Sätze), Eugen Egner (die psychedelische Phantasie), Helge Schneider (das Absurde). Domin verrührt diese Zutaten, garniert mit seinem rebellischen Blick auf die Welt, zu einer Melange aus Blut und Sperma. In dieser Suppe indes schwimmen gesellschaftskritische Hasstiraden, mit denen man sich als gelegentlich hilflos den Mächten von Lobbyismus, Politik, Massengeschmack, Volksverdummung und anderen Mächten ausgesetzt Sehender zu seiner eigenen Überraschung sogar identifizieren kann. Domin läuft verbal Amok; Opfer sind ebenso die kleinen Alltags-Fieslinge von nebenan wie das diffus undurchblickbare System.
Seine Wortkaskaden durchsetzt Domin immer wieder mit Abschweifungen; meistens erläutert er dem Leser seine Intentionen und seine Kenntnis etwa über seine Grammatikfehler oder Logikschwächen, manchmal lässt er sich auch – positiv wie negativ – über Kulturgüter aus. Man wundert sich dann aber recht häufig, wie oft Domin zu bestimmten Punkten zurückkehrt und in seinen Geschichten tatsächlich so etwas wie eine Handlung aufkommen lässt. Exemplarisch dafür steht der dritte Teil des Buches, der aus dem bereits als Book-On-Demand erschienenen Märchen „Mit ohne was an in die Mitte der Welt“ besteht, in Unkenntnis des Inhaltes illustriert übrigens von seiner zweijährigen Tochter. Darin sucht eine dreiköpfige Familie einen Nazischatz in einem Gewässer in der Mitte der Welt, dank dessen sie in den Obersalzberg einzieht und wiederum einen Zugang zur Mitte der Welt findet, um dort das Böse und das Gute zu töten. Abstoßendes und Schönheit liegen hier wie immer bei Domin dicht beieinander: Er beschreibt, wie der Vater ständig mit Gegenständen kopuliert, und lässt andererseits Sätze fallen wie „Der Mond neigt sich höflich nach vorne und spiegelt sein Antlitz auf der Matt [sic!] schimmernden Oberfläche […]“. Keine leichte Kost, fürwahr.
Die CD „Lichtreflexe Of The Love“ ist dies dafür schon eher. Nach dem Ausstieg bei der Band Die Weltenretter sah man Domin häufiger solo auf der Akustikgitarre seine Songs performen. Zwar steigerte er sich auch in seinen Songtexten mehr und mehr ins Vulgäre, aber lange nicht so extrem wie in den Büchern. Die Lieder schwanken zwischen Punkerleben und Liebesschmerz; maximal bösartig ist vielleicht noch „Ohne Arme kein fis Moll“. Die ersten neun Songs sind im Studio aufgenommen, die letzten vier live. Für eingängige Melodien hat Domin definitiv ein Gespür, das bewies er bereits mit seinen Bands Bonner Präservative, Die letzten Kavaliere und eben Die Weltenretter. Als Akustikpunk macht er eine gute Figur.
Das Album also kann man sich bedenkenlos zulegen, bei dem Buch sollte man wissen, dass man einen Faustschlag in die Weichteile erwirbt. Zu beziehen sind beide Werke (und noch viele andere) unter akusticpunk@gmx.de.