London Underground – Live At The 19th Dream Of Dr. Sardonicus Festival 2023 – Frg Records/Fruits de Mer Records 2024

Von Matthias Bosenick (24.07.2024)

Wie, das Konzert fand erst im vergangenen Jahr statt? Der Mitschnitt „Live At The 19th Dream Of Dr. Sardonicus Festival 2023“ katapultiert die Hörenden sofort und stante pede und direkt in die Sechziger, als bewusstseinserweiternde Substanzen die Musizierenden dazu verleiteten, von vertrauten Pfaden abzuweichen, übliche Songstrukturen weit hinter sich zu lassen, zu gniedeln, was das Kraut hält, spacige Tasteninstrumente aus der Schmiede eines Laurens Hammond in den Musikfluss einzubauen und auf Gesang gleich mal ganz zu verzichten, man hat Besseres zu tun. So verfahren die italienischen Psychedeliker mit dem irreführenden Namen London Underground seit 1998, das vorliegende Live-Dokument ist das erst fünfte Album der Band. Ausflüge in Funk und Jazz Fusion Rock sowie Coverstücke gibt’s obendrauf, den „Midnight Cowboy“ von John Barry etwa kennen Fans von Faith No More bereits in anderer Version. Das englische Label Fruits de Mer Records bringt nun sechs der zehn Tracks auf Vinyl heraus, das volle Konzert gibt’s digital und als CDr.

Los legt die Band wahrhaftig psychedelisch, der Opener „Billy Silver“ duftet nicht nur nach London, sondern auch nach San Francisco. Mit „Ray Ban“ brechen London Underground gleich mal mit den Erwartungen, den das Stück funkrockt mit Orgeleinsatz, und was bereits im ersten Track wahrzunehmen war, bestätigt sich hier umso deutlicher: Die Musiker können was! Wie das Schlagzeug energetisch wirbelt, wie die Orgel jammt, wie alle anderen den Groove und das Gniedeln verbrüdern, wie es allen zusammen scheißegal ist, ob das nicht die lysergsauren Köpfe überfordert, dass die Tracks teilweile in sich ein irrsinniges Tempo vorlegen, auch wenn der Strom des Stücks paradoxerweise entschleunigt wirkt.

In dieser Version etwa lässt sich „Midnight Cowboy“ lediglich auszugsweise an der Melodie erkennen, zumeist gniedelt die Band auf den Basis-Strukturen herum, verrückt. Ebenso, dass London Underground danach rhythmisch in Südamerika wildern, indem sie das Jazzstück „The Jive Samba“ von Nat Adderley, dem Bruder der Kanonenkugel, zerpflücken und in undenkbare Richtungen wuchern lassen. Und dieser Derwisch von einem Schlagzeuger füllt den Samba mit Irrsinn an. Etwas Ruhe kehrt erst an Position 7 ein, wenn die Band zu Wes Montgomerys „Bumpin‘ On Sunset“ das Tempo etwas reduziert und sich mehr als elf Minuten Zeit lässt, dieses Fusion-Stück zwischen Orgel und Gitarre zu entfalten. Wer Carsten Bohns Bandstand live mochte, dürfte sich hier wohlfühlen.

Für die letzten drei Stücke – beinahe eine halbe Stunde Spielzeit – nimmt die Band wieder den Bremsklotz von den Felgen, man kann nur staunen. Für „What I Say“ ist die Gitarre mit einem überraschend harschen Fuzz unterlegt und auch die Orgel klingt aufgekratzt, während das Stück mit Lichtgeschwindigkeit ins All speedet. Zum Finale widmet sich die Band „Tropic Of Capricorn“ von Orgel-Meister Brian Auger, da werden die Italiener nochmal etwas gebremster, aber auch neoklassisch, fusionjazzig, abermals spacig. Ein gelungener Abschluss.

Die Qualität ist so gut, ohne den Applaus zwischen den Songs und zu einzelnen Szenen erführe man nicht, dass es sich wirklich um einen Livemitschnitt handelt. An dem zudem lediglich vier Menschen beteiligt sind: Das einzig verbliebene Gründungsmitglied Gianluca Gerlini, ursprünglich bei der Mystic Band, bedient die charakteristische Orgel sowie das E-Piano und Keyboards, der irrsinnige Schlagzeuger ist Andrea Dilillo, am Bass ist Stefano Gabbani und an der Gitarre Alberto Capelli dabei. Die drei letztgenannten haben ihrerseits haufenweise andere Bands und Projekte in der Biografie; Italien ist trotz aller mediterraner Sonne ein Schauplatz für psychedelische Rockmusik, da darf man sich nicht blenden lassen.

Das Konzert fand statt in Wales auf dem im Titel genannten und von Fruits de Mer ausgelobten Festival. Zehn Tracks gibt’s digital, die Vinyl-Version wählt sechs davon aus und reißt spielzeitbedingt Lücken in das tolle Set.

Vinyl:
1. Billy Silver
2. Fanfare
3. Honey Drops
4. 13 (Death March)
5. Bumpin‘ On Sunset
6. What I Say

Digital:
1 Billy Silver
2 Ray Ban
3 Fanfare (The Crazy World Of Arthur Brown)
4 Midnight Cowboy (John Barry)
5 The Jive Samba (Nat Adderley)
6 Honey Drops
7 Bumpin‘ On Sunset (Wes Montgomery)
8 13 (Death March) (Gary McFarland)
9 What I Say
10 Tropic Of Capricorn (Brian Auger)