Von Matthias Bosenick (27.11.2023)
„No Feeling“ ist Doppel-Retro: Im Jahre 2023 gedenkt das Label Atypeek einer Band, die nur sieben Jahre lang existierte und zwischen 1987 und 1989 auf Closer Records eine Musik veröffentlichte, die damals schon aus der Zeit gefallen war. Dafür klingt die heute umso zeitloser, die Compilation könnte als aktuelles Album durchgehen: Rock’n’Roll, dreckig, energetisch, harmonisch, rauh, beseelt. Atmet den Geist von Jerry Lee Lewis ebenso wie den der Cramps, die ja ihrerseits retro sind, pendelt zwischen Garage und Surf und blickt in Richtung gegniedeltem Punk. Auf Vinyl hatte „No Feeling“ der Band aus Nantes sechs, auf CD acht, jetzt im Stream neun Songs, die die (Wieder-)Entdeckung wert sind. Nun gut, einer muss es schreiben: Willkommen bei den Shtauss!
Die Gitarren müssen nicht durchgehend verzerrt sein, um zu rocken, es reicht aus, fürs Solo an den Reglern zu drehen und ansonsten eine Fünfziger-Klarheit walten zu lassen. Mit Tempo und Verve wird daraus trotzdem ein Rocker: Mit „Bigger Man“ eröffnen Les Shtauss den kurzen Reigen und packen im Verlauf der Uptempo-Nummer sogar noch ein Saxophon on top oben drauf. „Sweet Sixteen“ ist ein dreckiger Twist, dem Punk nahe, angepisst hingebellt und mit lieblichem Chorgesang im Hintergrund. Das balladesk beginnende „My Bottle Of Wine“ kann man sich auch im Wave-Rock-Kontext vorstellen, bis die Band in der Mitte die Stecker einstöpselt und die Rock’n’Roll-Energie von der Leine lässt. Für „Chain That Girl“ geht die Band bei rauher See surfen, dass Man Or Astro-Man? daran ihre Freude hätten, und bleibt für den „Martian“ noch etwas länger am Strand. Das die ursprüngliche LP abschließende „Bagaboo“ dürfte das melodischste Stück sein, mit rauhem Kern, aber insgesamt beinahe poppig. Was auch am Schlagzeugsound liegt, der auf dem gesamten Album vergleichsweise weich produziert ist.
Dann gab es 1987 noch eine Non-Album-7“-Single, die es 1989 immerhin auf die CD-Version von „No Feeling“ schaffte: „Everybody’s Rockin“ surft ganz dicht an den Cramps vorbei und hat den wohl groovendsten Bass dieser neun Songs, die B-Seite „Black In Town“ überrascht mit knappem Orgel-Intro, das in einen vom Piano beschleunigten Boogie übergeht. Der Bonus-Track dieser neuen Zusammenstellung, „Bang Bang Boum“, ebenfalls aus dem Jahr 1987, ist dem Punk am nächsten und erschien damals auf der Newcomer-Compilation „Eyes On You“.
Les Shtauss bestand seinerzeit aus fünf Musikern, die sich Ludo, Manu, Goret Pop, Fafa und Jimmy B. nannten; manche Quellen listen nur vier Mitglieder auf. Ursprünglich nannte sich die Band noch Doktor Shtauss, die Veröffentlichungen fanden aber durchgehend als Les Shtauss statt. Laut Info setzten Les Shtauss seinerzeit eine mächtige Marke in der französischen Rockszene, und das mit nur neun Songs. Mit der Sprache Ch’ti haben die Shtauss überdies nichts zu tun, die Gegend, in der jene gesprochen wird, ist von der Bretagne noch einige Kilometer entfernt.