Leid und Herrlichkeit (Dolor y Gloria) – (Pedro) Almodóvar – E 2019

Von Matthias Bosenick (26.07.2019)

Kein überbordend extrovertiertes Meisterwerk, aber in seinem gebremsten Tempo, seiner positiven Stimmung und seiner Farb- und Formgebung mindestens richtig gut ist Pedro Almodóvars jüngster Film mit dem etwas abschreckenden Titel „Leid und Herrlichkeit“ („Schmerz und Ruhm“ wäre passender gewesen). Seine Homies Antonio Banderas und Penelope Cruz veredeln diese Selbstreflexion, die manche als den Abschiedsfilm Almodóvars auffassen. Dabei lässt das wundervolle Ende auch andere Schlüsse zu.

Wie autobiographisch „Leid und Herrlichkeit“ tatsächlich ist, ist für die Rezeption des Films dabei eher irrelevant. Der hier großartige Banderas spielt Almodóvars partielles Alter Ego Salvador, einen krankheitsgebeutelten Regisseur und Autoren, der aus diesem Grunde seit einigen Jahrzehnten untätig ist. Die geplante Wiederaufführung eines 32 Jahre alten Films konfrontiert ihn mit dem Konflikt, den er unzufrieden mit dem damaligen Hauptdarsteller austrug. Die Zwecksversöhnung mit diesem Darsteller bringt zwei Dinge ins Rollen: Eine neue Heroinsucht und die Auseinandersetzung mit Geschehnissen aus Salvadors Vergangenheit. Die läuft parallel ohnehin ab, nur noch weiter zurückblickend: Aus dem Off erzählt Salvador von seiner ärmlichen, aber behüteten Kindheit in einer Höhlenwohnung auf einem Dorf, mit prägender Mutter, angedrohtem katholischen Internat und erstem Interesse an Männerkörpern. Und alles greift ineinander. Zwar gestaltet Almodóvar den erwachsenen Salvador zunächst etwas abweisend, aber recht bald Zeit erwärmt man sich für ihn und die Menschen, die ihn umgeben.

Almodóvar lässt sich Zeit. Da die Geschichte trotz Ausflügen in die Drogenbeschaffungskriminalität und einer bedrohlichen Situation zwischen Regisseur und Darsteller kein Gewaltpotential birgt, gibt es auch keinen Anlass für hektische Sequenzen. Vielmehr konzentriert er sich darauf, die Geschehnisse ansehnlich zu gestalten: Almodóvar hat bekanntlich ein Händchen für grafischen Aufbau und Farbgebung, und beides lebt er hier aus, stets nicht für sich selbst stehend, sondern in den Ablauf eingebettet, sodass man während des genauen Verfolgens der aufschlussreichen Dialoge auch immer etwas zum Gucken und Staunen hat. Besonders ragt da die Theaterperformance des Schauspielers heraus.

In diesem gebremsten Tempo lässt Almodóvar Gegenwart und Rückblenden tangential aufeinandertreffen; dabei gelingt ihm das Kunststück, diese Begegnungen nicht so konstruiert wirken zu lassen, wie sie tatsächlich sind, und damit den Genuss am Film nicht zu schmälern. Vielmehr erzeugt er mit ihnen wohligwarme Begebenheiten, denen man sich mit der Hauptfigur gern hingibt. So kehren nicht nur zerstrittene Schauspieler zu ihm zurück, sondern dadurch auch die erste schwule Liebschaft und auf anderem Wege eine seine Biographie tiefgreifend symbolisierende Kunst.

Das mit dem „Leid“ walzt Almodóvar gottlob nicht aus. Obwohl sein Salvador jegliche Zipperlein benennt und Arztbesuche auch Teil der Geschichte sind, lässt Almodóvar sein Alter Ego nicht jammern. Das mit der „Herrlichkeit“ greift er mit dem fulminanten Ende auf, wenn er die ohnehin über jeden Zweifel erhabene Penélope Cruz als junge Mutter Salvadors in anderem Kontext auf den Anfang des Filmes zurückgreifen lässt – ihr Blick vor dem Abspann löst einen wilden positiven Gefühlscocktail aus, nicht zuletzt symbolisiert er, dass Alter kein Grund ist, mit etwas aufzuhören oder mit etwas anderem nicht zu beginnen (ausgenommen Drogen). Es geht weiter, wenn man es nur will und anpackt. Damit soll ein letzter Film enden, obwohl es wie die Aufforderung an sich selbst wirkt, weiterzumachen? Unvorstellbar.