Von Guido Dörheide (28.06.2022)
Kreator. Von den großen 4 des Teutonic Thrash Metal die Allergrößten. In meinen Augen größer, als Metallica es je werden können. OK – Metallica haben den (in meinen Augen allereinzigsten) Vorteil, dass sie seit dem Rauswurf des begnadetsten, wenn auch bescheuertesten Thrashmetalgitarristen der gesamten Bay Area ihr Line-up nur einmal gezwungenermaßen geändert haben, und das war, als der Bassist Cliff Burton infolge eines supertragischen Tourbusunfalls verstorben ist. Und durch den wahrhaft großen Jason Newsted ersetzt wurde, mit dem Metallica ihr letztes gutes Album (nein Matze – nicht das Schwarze [der Ansicht bin ich auch gar nicht, Anm. d. Matze]) aufgenommen haben. Der spätere Abgang von Newsted und sein Ersatz durch Rod Gonzales oder wie der heißt läuft m.E. nur noch unter Ferner Liefen. Aber ich schweife ab: Kreator sind natürlich in erster Linie Mille Petrozza. Und das reicht erstmal völlig aus. Und neben Mille klebt der wahnsinnige Ausnahmeschlagzeuger Jürgen „Ventor“ Reil im Line-Up der Band wie eine Tube Pattex – nur in den 90ern war er mal für ca. zwei Jahre nicht dabei. Und das ist der Hammer – normalerweise sind es die Schlagzeuger, die ob ihrer harten körperlichen Maloche am Schnellsten verschleißen (siehe beispielsweise Phil Collins).
Nicht so Ventor – der verprügelt sein Drumkit auch 2022 noch, als hätte es seine Mutter beleidigt. Klar ist es schade, dass Frank Blackfire (ooooh – wir erinnern uns voller Ehrfurcht an das 1990er Magnum Opus „Coma Of Souls“ – von mir lange als das „Sgt. Pepper‘s“ von Kreator bezeichnet) nicht mehr als Leadgitarrist mit von der Partie ist, aber es sei Sodom auch von Herzen gegönnt, dass Blackfire jetzt dort das tut, was er am besten kann – nämlich eine ohnehin schon gute Band zu etwas über jeden Zweifel Erhabenes auf jeden nur in greifbarer Nähe vorhandenen Olymp zu katapultieren. Christian „Speesy“ Giesler am Bass – ebenso eine in den letzten 20plus Jahren von Kreator liebgewonnene Kultfigur, die auch das ganze wundervolle Spätwerk mitgestaltet hat – ist leider ebenfalls ausgestiegen, wird aber von Frédéric Leclercq würdevoll ersetzt. Und wer fehlt noch? Klar! Sami Ily-Sirniö, der finnische Gitarrist, der schon bei Waltari geglänzt hat und der seit 1999 in die Leadgitarristenrolle bei Kreator hineingewachsen ist.
Ich lasse jetzt den ebenfalls über jeden Zweifel erhabenen Tommy Vetterli mal außen vor, weil er die in meinen Augen unbeachtlichste Kreator-Schaffensperiode abdeckt und behaupte, dass Ily-Sirniö Frank Blackfires Fußstapfen nicht nur ausfüllt, sondern sie auch mindestens mit Größe 50 übertrifft. Seine Soli sind hart, aber auch immer sehr melodisch und klingen so, als ob er Gitarrensaiten von der Dicke der aus den alten Drei-???-Hörspielen bekannten überirdisch verlegten Telefonkabeln verwendet. So – nun habe ich mich ausgiebig über die Besetzung einer der besten – wenn nicht gar der besten – Metal-Bands der ganzen Welt ausgelassen und kann nun mal so richtig in das neue Werk von Kreator einsteigen:
Und da frage ich mich: Bin ich eigentlich der einzige, der „Hate über alles“ nicht für einen großen Wurf als Plattentitel hält? Hier und da gab es zu lesen, dass der Albumtitel auf „California über alles“ von den Dead Kennedys anspielt, aber mal im Ernst: Ist „Hate“ jetzt das neue Kalifornien? Warum dann nicht „NRW über alles“? I am Governor Hendrik Wüst… passt doch. Hank Waste vielleicht. Oder Hank Desolate? Desert-Hank? Nein, „Hate über alles“ hat mit den Kennedys soviel zu tun wie samma mit der Kelly-Family.
Missglückter Titel hin oder her – das Titelstück ist ein guter Türöffner für den Rest der Platte: Ventors Schlagzeug galoppiert in Lichtgeschwindigkeit, Mille ist stimmlich gut in Fahrt und ergießt ein Füllhorn Gewalt und Brutalität über die Hörerschaft. Dennoch tut das Stück in den Ohren nicht weh: Mittlerweile sind Kreator meilenweit entfernt von ihren ersten – apselut legendären – Werken wie „Endless Pain“ oder „Pleasure To Kill“, die wirkliche Schmerzen in Ohr, Herz und Bauch der/des Rezipientin/Rezipienten (m/w/d) entfachten – sondern wissen, wie man äußerste musikalische Härte mit einem wunderbaren Wohlfühlgefühl kombiniert.
Vor dem Titelstück ertönt jedoch „Sergio Corbucci Is Dead“. Nicht Bela Lugosi? Doch, der auch, und zwar so richtig. Sergio Corbucci aber ist ein 1990 verstorbener Regisseur von Italo-Western, und genau danach klingt der Eröffner des neuen Kreator-Albums. Danach gibt es dann wie schon gesagt mit dem Titelstück so richtig in die Fresse. Hätte ich jetzt fast gesagt. Natürlich (oder gottlob?) ist „Hate über alles“ nicht vergleichbar mit der für Kreator ungewöhnlichsten Phase von „Renewal“ bis „Endorama“, sondern knüpft eher an das Spätwerk an, das mit „Violent Revolution“ von 2001 beginnt. Aber ich denke, verglichen mit allen großartigen Alben („großartig“ und „Spätwerk“ in einen Kausalzusammenhang stellen zu können, ist wahrlich nicht mandatory, Grazie, Mille, sage ich mal, um hier mal einen lange gehegten Sparwitz in einem Klammerzusatz loswerden zu können) schaut „Hate über alles“ weit genug über den Tellerrand des Kreator-Universums, um streckenweise beinahe schon als experiment- oder zumindest originell durchgehen zu können. So finden sich viele soundtechnische und atmosphärische Verbeugungen vor den übergroßen und unsterblichen Iron Maiden (beispielsweise auf „Strongest Of The Strong“ und „Become Immortal“) und die Einbeziehung von Indie-Künstlern wie Drangsal auf „Sergio Corbucci Is Dead“ und „Conquer And Destroy“ (wie zum Teufel kann man sich selbst einen Künstlernamen geben, der gleichermaßen an Harndrang wie auch an Aal in Gelee gemahnt? Hallo? Selbstachtung? Herr Drangsal, ich wüsste da eine wirklich gute Therapeutin, mit der Sie da mal dringendst oder von mir aus auch drangsalenst drüber reden sollten! – Frau N., übernehmen Sie!) und – noch viel besser – Sofia Portanet, die aus dem eh schon tollen „Midnight Sun“ mit ihrem Nicht-von-dieser-Welt-Gesang etwas zaubert, das erstmal irgendwer im Metal ähnlich vergleichbar hinkriegen soll. Und dass Mille gegen Sofias zauberhaften Gesang munter gegenankeift, bis beide dann gemeinsam singen und dabei auf das Vortrefflichste harmonieren und dass das Stück für Kreator-Verhältnisse eher midtempo und hymnisch geraten ist, genau das lässt mich diesen Song zu einem der Oberhighlights auf dem Album und zum wärmstens ans Herz gelegten Anspieltipp erklären.
Auf dem sich an dieses Ausnahmewerk anschließenden „Demonic Future“ wird dann wieder geknüppelt, als gäbe es nicht nur kein Morgen, ach was, Kreator löschen mit ihrem furiosen Geknüppel gleich ganze Kalenderwochen aus. Außerdem hervorzuheben ist das Cover-Artwork von Eliran Kantor, der schon Covers für Archspire (Matze → Helmut Kohl!), Testament, My Dying Bride, Heaven Shall Burn, Havok, Helloween, Thy Art Is Murder etc. pp gestaltet hat – wunderbar!
Nachdem nunmehr Sodom, Destruction und jetzt auch Kreator wunderbar abgeliefert haben, warten wir nun auf das neue Album von Tankard.