Ben Aaronovitch – Die Silberkammer in der Chancery Lane (Amongst Our Weapons) – dtv 2022

Von Matthias Bosenick (27.06.2022)

Was macht man, wenn eine Buchreihe erfolgreich ist und man gesichert weiß, dass Neuerscheinungen von fanatischen Fantasy-Fans sofort erworben werden? Klar: die Bücher teurer. Heißt zum zweiten Mal in der „Die Flüsse von London“-Reihe von Ben Aaronovitch, dass der deutsche Verlag dtv das Format sinnlos aufbläht und dieses Mal dafür sogar satte sechs Euro mehr pro Buch einstreicht. Genau so sinnfrei ist der Versuch, die deutschen Titel einer Corporate Identity zu unterwerfen, die sie im Original nicht haben – offenbar traut man seiner Leserschaft nicht den popkulturellen Horizont zu, den der Autor hat, denn „Amongst Our Weapons“ spielt, wie so viele Stellen im Buch, allen voran die Zwischenüberschriften, auf Monty Pythons Flying Circus an: „Nobody expects the Spanish Inquisition!“, mit direktem Bezug zum Inhalt dieser neunten Geschichte der Urban-Fantasy-Reihe um Zauberpolizist Peter Grant. Aaronovitch schreibt hier wieder ausufernd, und doch konzentrierter, spannend, humorvoll, sprachlich gewandt und einfallsreich über einen Racheengel, der direkt aus der Epoche der Spanischen Inquisition stammt. Und im Buch werden Monty Python nicht einmal überhaupt erwähnt.

Popkultur findet sich bei Aaronovitch, dem „Doctor Who“-Skriptautoren, in so großer Zahl, dass es bestimmt nicht nur hilfreich ist, Brite zu sein, um sie alle überhaupt zu erkennen, sondern auch, den ganzen Tag Bücher, TV, Kino und Radio zu konsumieren. Wer zum Henker etwa ist Frank Muir? Spielt die Szene mit dem Chaos denn überhaupt auf seine „What-a-mess“-Bücher an oder ist das nur das erstbeste Googleergebnis für den ratlosen Leser? Wer ist die Soulsängerin, nach der Tochter Beatrice benannt wird? Und von welchen Passagen wissen wir gar nicht, dass es überhaupt Anspielungen sind? Michelle Yeoh lässt sich leicht auf „Tiger & Dragon“ zurückführen, ein Strampelanzug mit Tardis-Motiv auf „Doctor Who“, aber wenn so etwas schon so beiläufig auftritt, was entgeht einem denn dann wohl alles? Da wäre ein Glossar freundlich, aber angesichts des bekloppten deutschen Titels steht leider zu befürchten, dass Übersetzerin Christine Blum und der Verlag selbst keine Ahnung von den ganzen Querverweisen haben.

Welche Links auch immer man versteht, man fühlt sich verstanden, wenn man selbst in der Popkultur unterwegs ist und sich über einen Autoren mit einem großen Horizont freut. Nicht minder weit lässt Aaronovitch den Horizont seiner Hauptfigur Peter Grant sein, der sich dann neben der Polizeiarbeit auch noch in Architektur, Geschichte und Biologie auskennt. Und der Autor in lokalen Gegebenheiten rund um die Welt, was er, wie man als Twitter-Nutzer weiß, seiner dortigen Gefolgschaft zu verdanken hat, mit Tweets wie: „Wie sagt man zu [beliebiger Sachverhalt] in [beliebiger Ort auf der Erde]?“, was selbst nicht selten zu interessanten Diskussionen führt. Und es macht Aaronovitchs Geschichten noch lebendiger, weil die Details vielfältig sind und auch zu stimmen scheinen. Nicht zuletzt vertritt der Autor eine vorbildliche Diversität; Peter Grants Mutter kommt aus Sierra Leone, viele seiner Kollegen sind weiblich, ohne selbst religiös zu sein ist er umgeben von Anhängern so gut wie sämtlicher Religionen, zudem von Menschen diverser sexueller Ausrichtungen, mit körperlichen Beeinträchtigungen sowie aus allen Weltengegenden mit allen äußeren Merkmalen, und all das ist in den Büchern nicht Gegenstand von Diskussionen, sondern beiläufiger Alltag, eben wie es in einer offenen Gesellschaft auch sein sollte.

Und was die Lektüre außerdem so erbaulich macht, ist Aaronovitchs Sprache. Natürlich kann er mit der Tür ins Haus fallen und seine Figuren in Straßenslang parlieren lassen, gleichzeitig beherrscht er die feine englische Art, Sachverhalte indirekt auszudrücken, was sehr unterhaltsam ist; beispielsweise lässt er wissen, dass Peters neugeborene Zwillinge nach Kräften dafür sorgen, dass sich das lesbische Paar doch lieber davon überzeugen lässt, ältere Kinder zu adoptieren. Ironie, Sarkasmus, Aaronovitch spielt sämtliche rhetorischen Trümpfe aus. Was er dieses Mal, um endlich aufs vorliegende Buch zu kommen, außerdem besser hinbekommt, ist, die Geschehnisse plastisch darzustellen; es gab einige Folgen, in denen man Mühe hatte, sich bildhaft vorzustellen, was denn da gerade passierte, aber dieses Mal funktioniert alles ganz gut. Das üppige Personal ist hier wiederum Segen und Pferdefuß zugleich: Einerseits lässt Aaronovitch seinen in Romanen, Novellen und Comics angewachsenen Personalstamm gefühlt vollständig antreten, und sei es nur in einer Erwähnung, Hauptsache, der Leser weiß, dass der Autor niemanden vergisst, nur andererseits hat man etwas Mühe, die Biografien und Charaktere der mindestens sieben neuen Figuren auseinanderzuhalten und zuzuordnen.

Diese sieben Figuren sind, da kommt wieder eine Popkulturanspielung, Ringträger, und es scheint, als habe es ein einer Lampe entstiegener Racheengel auf ihr Leben angesehen. Peter muss nun die verbliebenen Mitglieder dieses religiös motivierten Zirkels ausfindig machen und deren Leben schützen sowie parallel den Engel und, selbstredend, seine Ex-Kollegin Lesley aufhalten. Recherche, Netzwerken, Action, Magie, alles ist drin, und zeitgleich wird er auch noch Vater. Und möglicherweise befördert, wenngleich es eine schöne Eigenschaft Peters ist, eben nicht so allmächtig zu sein wie sein Ziehvater Thomas Nightingale: Auch mit besonderen Fähigkeiten ist er im Grunde einer von uns.

So ist nun also „Amongst Our Weapons“ ein flott zu lesender Krimi-Zauber-Thriller-Spaß mit einer so breiten Personaldecke, dass die Geschichte selbst darunter etwas verschwindet. So viel Substanz hatten Aaronovitchs Bücher zuletzt ohnehin nicht mehr, da waren die Novellen besser, da gab er eine opulente Handlung schon platzbedingt wenigstens nicht vor und kam besser auf den Punkt. Dennoch, Peter Grant zu lesen bereitet wieder Vergnügen, und das zählt. I didn’t expect the Spanish Inquisition!