Von Matthias Bosenick (22.11.2024)
Das ist ein Film, wie man ihn sich im Kino wünscht: visuell überwältigend, jedes Bild ein Kosmos, dazu ein markerschütternder Soundtrack und hervorragende Darsteller, die eine gemächliche, aber einen erheblichen Sog entwickelnde Geschichte erzählen – nämlich die des „Konklave“, das zusammenkommt, um einen neuen Papst zu ermitteln. Die Problematik der Romanverfilmungen meistert Edward Berger vortrefflich, Fans der Vorlage von Robert Harris können ausnahmsweise mal zufrieden sein. Und wer das Buch nicht kennt, bekommt einfach so eine fantastische Zeit im Kino geboten.
Dunkel sind die Bilder mehrheitlich, und das nicht nur, weil die katholischen Amtsträger für die Zeit der Papstwahlgänge hermetisch eingesperrt werden. Helle Momente sieht man nur selten, etwa beim Rauchen der Anreisenden im Hof (automatischer Ohrwurm: „Holy Smoke“ von Iron Maiden) oder beim Flanieren der sakralen Kleidermänner entlang weißer Säulen, ansonsten findet die Geschichte im Schatten statt. Da liegt sehr viel visuelle Kraft in diesem Film, im Spiel aus Licht und Schatten, aus Versteck und Offenbarung, aus Geheimnis und Lüftung, was Regisseur Berger im Verlauf zusätzlich inszenatorisch verstärkt, indem er etwa die gewählten Kandidaten bei einem ausgewählten Wahlgang nicht mehr inmitten ihrer 108 Mitwählenden filmt, sondern sie komplett allein in den Sitzreihen auf die Ergebnisse reagieren lässt.
Als zusätzliche Kraft tritt hier die Musik in Erscheinung, von Volker Bertelmann aufs Bild genau komponiert, mit tiefen Streichern, die den inhaltlichen Wumms akustisch begleiten. Überhaupt Akustik: In vielen Szenen hört man überdeutlich den Atem der Hauptfigur, wie die von Dave Bowman auf dem Jupiter in „2001: Odyssee im Weltraum“. Auch Wellensittiche und Mauersegler sind nur hörbar, nicht sichtbar.
Zudem ist das Schattenspiel nicht die einzige visuelle Stärke des „Konklave“: In bisweilen nur wenigen Sekunden dauernden, aber üppig ausgestalteten Szenen deutet Berger an, wofür Robert Harris, der Autor der Romanvorlage, mehrere Seiten an Erklärung brauchte, um den Kosmos des Katholizismus mit seinen archaischen Ritualen auch für Religionsfremde greifbar zu machen; eine perfekte Lösung: Berger macht den Text zum Bild, anstatt einen Off-Erklärbär zu installieren. Und dann komponiert er diese Bilder auch noch so grandios, mal abstrakt, mal bewusst asymmetrisch, mal explizit symmetrisch, und das auch noch kombiniert mit eben den genannten Schattenwürfen. Man fühlt sich – wohl auch dem Ort geschuldet – an „La grande Bellezza“ von Paolo Sorrentino erinnert oder an die Suspense-Meisterwerke von Alfred Hitchcock. Das ist schon mal cineastischer Rock’n’Roll.
Die Geschichte entnahm Berger eben dem gleichnamigen Roman von Robert Harris. Die Hauptfigur heißt hier indes nicht Jacopo Lomeli, sondern Thomas Lawrence, vermutlich, um dem internationalen Publikum einen internationalen Cast bieten zu können. Das macht aber nichts, Ralph Fiennes spielt diesen Leiter des Konklave zerfurcht, nachdenklich, engagiert, reflektiert, glaubwürdig, da ist es egal, wie die Figur heißt. Jeder der 108 – mit Bonus-Kandidat 109 – Amtsträger aus aller Welt ist gleichzeitig wahlberechtigt und möglicher Papstnachfolger, die Wahlgruppe wählt also aus den eigenen Reihen. Verschiedene Lager bilden sich, von erzreaktionären bis progressiv-liberalen Kardinälen, die um das Amt buhlen.
Die aussichtsreichsten Kandidaten bekommt man etwas näher präsentiert, und da setzt der Thriller-Anteil an: Zu einigen liegen Lawrence alsbald verschwörerische Hintergrundinformationen vor, die deren Chancen erheblich torpedieren, und während er diese Infos zu verifizieren versucht, tun sich wieder andere Abgründe auf. Dies ist der einzige leichte Schwachpunkt des Films im Vergleich zum Buch, dass die Durchschlagskraft der Verdachte und Erkenntnisse nicht in der geballten Intensität auf die Zuschauenden einstürzt, was auch daran liegen kann, dass es den anderen Kardinälen ebenso ergeht: Eher schulterzuckend nehmen sie die Skandale und Intrigen zur Kenntnis, Motto: Irgendein Arschloch muss eben der berühmteste Mann der Erde werden, das war schon immer so. Lediglich die Kandidaten selbst brechen ein bisschen zusammen. Erstaunlicherweise mindert dies die Spannung von „Konklave“ nicht, da liegt wieder eine Kunst des Regisseurs.
Was er wiederum inszenatorisch hinbekommt, mit heimlichen Schnüffeleien – da ist die Szene mit dem gebrochenen Siegel und der aussetzenden Musik ein Knaller –, Gesprächen mit den Ordonanzschwestern oder Vertrauten außerhalb des Petersdoms, punktuell ausgeleuchteten Paktierungen im Kino, dem Einschlag einer Bombe im Moment der Stimmabgabe – parallel finden gewalttätige Proteste gegen die katholische Kirche statt – und nicht zuletzt über den Fortgang der Handlung und mit dem Ungewissen Ausgang der Wahl nach sich verschiebenden Allianzen inklusive dem Mitfiebern des Publikums, es möge ein liberaler Kandidat gewinnen. Und dann – Spoiler hier – erlauben sich Harris und mit ihm Berger den Kniff, auf eine biologisch nachvollziehbare Weise einen anteilig weiblichen Papst zu küren.
Ja, viel Katholizismus hier, damit auch viel Angriffsfläche für Zweifel und Kritik von Seiten des kritischen Publikums, andererseits klären dies die Figuren im Film gleich stellvertretend, da es hier auch Thema ist, was Macht macht mit Menschen. In diesem Zusammenhang legt das Filmteam Wert auf die Feststellung, diese Art von Mechanismen sei analog in Politik und Wirtschaft zu finden; ein Widerspruch ist angebracht, da es bei Kirche um andere Werte geht, die zudem systemimmanent zu sein haben.
So manche kleine Modernisierung des Stoffes erlaubt sich Berger, alles davon aber sogar eher erforderlich, als dass man es als nicht werkgetreu abkanzeln würde. Die Kardinäle rauchen E-Zigarette und haben Smartphones, der Bonus-Kardinal war hier in Kabul eingesetzt, nicht mehr noch wie im Buch in Bagdad. Das passt so. Insbesondere die moderne Technik bildet einen kopfsprengenden Kontrast zur historischen Umgebung, die schließlich den Eindruck von Zeitlosigkeit, wenn nicht von Gestrigkeit aufkommen lässt.
Schwierig ist hier abermals der Synchron. Der Sprecher von Ralph Fiennes kann ohrenkundig kein Italienisch, er liest es brav vom Blatt ab, während man Sergio Castellitos energetische Ausbrüche im Original belässt und nur die nichtitalienischen Passagen mit einer anders klingenden Stimme synchronisiert. Ansonsten gefällt hier der Reigen der Sprachen, schließlich kommen die Kardinäle, auch optisch wahrnehmbar, wörtlich aus aller Welt.
Auch ohne Mord, abgesehen von den nicht gezeigten Attentaten, ist dies ein scharfer Thriller, dieses Chili „Konklave“. Da zaubert der in Wolfsburg geborene Regisseur doch glatt einen zweistündigen neuen Eintrag für die Lieblingsfilmliste hervor.