Von Matthias Bosenick (11.05.2023)
Was ist dieses Dub überhaupt? Eigentlich: In den Sechzigern auf Jamaika doppelten die Produzenten Reggae-Tonspuren, fertigten also einen Dub, eine Kopie, an, und legten sie verschoben zueinander übereinander, sodass eine Art Echoeffekt entstand. In den Achtzigern stand Dub nicht ganz selten schlicht für Remix, und heute verhält es sich damit oft nicht so sehr anders. Die reine Lehre predigt auch Youth nicht, der acht ausgewählte Songs aus 40 Jahren seiner Band Killing Joke unter dem Begriff Dub neu bearbeitet (davon zwei zweimal) und die Postpunkstücke zwar mit viel Echo und Hall versieht, aber auch mit anderen elektronischen Spielweisen, Drum And Bass, Big Beat, Electroclash, Techno, Ambient. Außen vor lässt er Goa und Industrial, obwohl beides gerade bei ihm naheliegen würde. Und mit Rinôcérôse ist sogar ein Fremdmixer dabei. Eine schöne Tanzparty mit eingestreuten Offbeats, diese Doppel-LP!
Wenn man sich diese beiden Platten so anhört, wird einem nochmal extra bewusst, wie viel Reggae eigentlich in jeder Musik verborgen zu sein scheint, man muss sie nur freibuddeln. Das eigentlich sehr nach vorn treibende Gitarrenstück „I Am The Virus“ etwa lässt in dieser Reggae-Version die Rockigkeit gar nicht vermissen, lediglich das angedeutete rhythmische Hundegebell ist etwas befremdlich. Auch in „The Death And Resurrection Show“ kommt der Offbeat gut. Doch Youth verweilt nicht auf den Genres, er mixt zusammen, was das Zeug hält, und lässt letzteren Song in einen peitschenden Drum And Bass übergehen. Wohl gemerkt, nicht Dubstep, so modernes Teufelszeug kommt dem altgedienten Produzenten nicht ins Mischpult.
Von allen Genres, die Youth hier verwurstet, bringt er auch ausgewählte Charakteristika unter; es gibt so Sounds, die man mit den Stilen verbindet, und die streut er dezidiert ein, bestimmte Störgeräusche aus dem Drum And Bass, den typischen gesampelten Trommelwirbel aus dem Ska, synthetische Drumsounds wie im Breakdance, Sirenengeheul wie im Big Beat, sphärisches Blubbern wie im Ambient, die knackigen Hi-Hats aus dem House, und auch hier wieder alles eher so punktuell, über die Strecken verteilt, die Youth hier ausrollt, manchmal bis zur Unkenntlichkeit der Originale, da lässt er seiner Fantasie freien Lauf. An „Bloodsport“ vom 1980er-Debütalbum lässt er die Franzosen Rinôcérôse die Finger legen, und ihr Mix fügt sich ins Gesamtbild bestens ein.
Youth macht hier vor nix Halt, das ist spannend, aus welchen Epochen der ohnehin schon diversen Killing Joke er sich bedient. Klar, schon die Debüt-Single trumpfte neben NWoBHM und Postpunk mit Dub auf, damals, „Turn To Red“, 1979. Seitdem wuselten die vier in so vielen Genres herum, dass eine Killing-Joke-Sammlung allein schon abwechslungsreicher ist als jede gutsortierte Indie-Sammlung ohne sie. Aus lässt Youth hier die synthiepoppigen Achtziger und konzentriert sich auf das postpunkige Frühwerk mit den zwei Non-Album-Singles „Change“ und „Pssyche“ und das dem Metal nähere späte Oeuvre. Es begeistert, dass Youths Beats hart und seine Sounds klar sind, hier entsteht kein lauer Brei, sondern ein farbenfrohes, vielseitiges, lärmiges, tanzbares Electro-Werk mit haufenweise Samples aus den Originalsongs.
„In Dub Rewind (Vol. II)“, dessen erster Teil vor zwei Jahren mit ähnlichem Konzept erschien (und die Basis dazu 2014 als „In Dub“-Dreifach-LP), könnte man als schnöde Zweitverwertung auffassen, während die neue Single „Full Spectrum Dominance“ ausschließlich im Stream zu haben ist und man nach der „Lord Of Chaos EP“ aus dem vergangenen Jahr auf ein neues Studioalbum lauert – „Pylon“ ist bereits acht Jahre alt –, aber nee, der Youth, der legt sich ins Zeug, und anders als auf dem ersten Teil sind hier alle Mixe bisher unveröffentlicht. Zudem ist das Doppel-Vinyl im zitronigen Gelb und minzigem Grün gehalten, das macht’s zusätzlich wertvoll.