Von Matthias Bosenick (06.11.2017)
Kiev Stingl hat schlechte Laune und in Achim Reichel einen versierten Mann an der Seite, der seine Grantigkeit in Musik fassen lässt. Vier Alben nahm der Hamburger zwischen 1975 und 1989 auf, die beiden mittleren – „Hart wie Mozart“ (1979) und „Ich wünsch den Deutschen alles Gute“ (1981) – veröffentlicht Sireena Records jetzt kurz nach dem Debüt „Teuflisch“ ebenfalls auf CD. Erwartet man bei einem Protegé wie Reichel einen Sound zwischen Beat und Psychedelik, wundert man sich doch über die Songs, die vielmehr an Postpunk oder gar Wave Rock anlehnen. Dabei ging es bei den Alben hauptsächlich darum, den an die US-Beatpoeten angelehnten Texte Stingls ein musikalisches Gewandt zu verpassen. Eine gelungene Kombination.
Beides hat so seine Seltenheit in Deutschland: Von wie auch immer ausgerichteter Poesie gesteuerte Texte und nicht auf große Bühnen schielende Rockmusik ohne Scheuklappen. Und das auch noch in den späten Siebzigern. Stingl transportiert in beidem seine miese Laune, die eine treffende Grundlage für Musik sein kann, siehe The Fall. Er verpasst seinen Songs Dynamik, lässt sie also weit mehr sein als nur die Begleitung zu seinen Ausführungen. Was auch nicht so sehr verwundert, wenn man sich vor Augen hält, mit wem Stingl hier zusammenarbeitet: Neben Reichel und Frank Dostal war dies auf „Hart wie Mozart“ ein Projekt namens Sterea Lisa, dem unter anderem Holger Hiller angehörte, der mit Palais Schaumburg selbst die Neue Deutsche Welle mitgestaltete und also einen entsprechenden Einschlag auch in Stingls Musik brachte. Für „Ich wünsch den Deutschen alles Gute“ wechselte Stingl die Mitmusiker, mit dabei war unter anderem Hans-Joachim Mennicken von den Boom Operators. Das vierte Album „Grausam das Gold und jubelnd die Pest“ übrigens schmückten FM Einheit von den Einstürzenden Neubauten und Dieter Meier von Yello.
Man mag es kaum glauben, aber auf jedem der beiden Alben ist ein Clubhit seiner Zeit enthalten. „Lila Diva“ erregte Aufmerksamkeit über den Soundtrack zu dem Film „Gibbi Westgermany“, bei dem Stingl – nicht zum einzigen Mal – sogar mitspielt. Vom anderen Album erhielt „Einsam weiss Boy“ einige Tanzflurrotation. Nicht original übrigens ist das Cover zur CD „Hart wie Mozart“, weil das einem „Spiegel“-Cover nachempfunden war und dem Künstler damit einigen Ärger bereitete.
Im Zuge der Wiederveröffentlichung stehen weitere Stingl-Aktivitäten an: Auch seine Gedichtbände sollen wieder aufgelegt werden, zudem erklärt sich Stingl aktuell in dem Film „Kiev Stingl – No Erklärungen“ nicht. Stingl lohnt das Entdecken und erweitert den Horizont.