Von Marc Lücke (20.04.2021)
Nachdem Joey Ramone, den man als Frontmann der legendären US-Punkband der ersten Stunde, „The Ramones“, ja nicht mehr vorstellen muss, am 15. April 2001 nach einem Fall im New Yorker Schnee starb, als er schon seit längerem an Lymphdrüsenkrebs gelitten hatte, veröffentlichten Sanctuary Records posthum 2002 sein erstes Soloalbum. Der ausdrucksstarke Titel des Silberlings, „Dont Worry About Me“, sagt eigentlich schon alles. In fast allen der elf Titel geht es um Abschied, Schmerz, dessen Überwindung und die Schönheit des Lebens.
Bei den Ramones zeichnete Joey mit seiner hohen, kehligen Stimme, die sehr gut zu seiner fragilen Gesundheit passte, immer verantwortlich für die ruhigeren Stücke, die Balladen und eingängigeren Rocksounds. Er war somit quasi der Antagonist zu Bassist Dee Dee Ramone und Johnny Ramone, die mit ihrem schnellen, harten Gitarrenspiel dem Sound der Ramones seine Aggressivität und Energie verliehen. Joey hingegen, der seit seiner Kindheit schon an Kinderlähmung gelitten hatte und immer etwas linkisch wirkte, musste auf der Bühne schon mal ein Roadie die unverzichtbare Lederjacke ausziehen.
Eines ist jedenfalls klar: Als Joey die Stücke schrieb, die nicht explizit als Album geplant waren, sondern erst später zusammengestellt wurden, wusste er bereits, dass er bald in den Punkhimmel auffahren würde zu Johnny und Dee Dee, um wieder Songs mit ihrem unverwechselbaren 1, 2, 3, 4 einzuzählen. Joey und Johnny waren die einzigen Mitglieder der Ramones, die von der Gründung 1974 in Queens (NY) bis zur Auflösung 1996 dabei waren, als der Autor dieser Zeilen Rammstein als Vorband ertragen musste mit ihrer überdimensionierten Pyrotechnik – um seine großen Punkidole noch ein letztes Mal live zu sehen und zu hören im Hannoverschen Capitol.
Nun aber endlich zur Musik der Scheibe: Gleich im ersten Song „What A Wonderful World“ bekennt sich die Punkikone Joey zu seiner großen Liebe zum Leben und der Musik. Hierbei handelt es sich übrigens um ein 50er-Jahre-Cover von Louis Armstrong. Der zweite Song heißt „Stop Thinking About It“. „Nothing lasts forever and nothing stays the same”, heißt es da – wie wahr. Etwas schwächer kommt „Mr. Punchy“ daher, wobei man den Eindruck gewinnt, der Titel sei in seiner Struktur einfach zu einfallslos angesichts der hohen Messlatte der vorherigen Stücke. Und auch „Maria Bartimoro“, eine rockmusikalische Liebeserklärung Joeys an die bekannte US-TV-Börsenexpertin gleichen Namens, in der er von seiner Vorliebe für Wertpapiergeschäfte erzählt.
Frischen Wind bringt „Spirit In My House“ ins Spiel, ein solider Titel trotz seiner Simplizität. Mit „Venting“ folgt ein weiteres sehr starkes Stück mit sehr coolem, fast goovendem Sound, der aber dem Genre Punkmusik treu bleibt. Nummer 8, „Searching For Something“, ist der mit Abstand stärkste Track des Soloalbums, nicht nur musikalisch mit einem großen Mitsingfaktor, sondern auch textlich ganz großes Kino: Es geht darin um die Suche nach spiritueller Erfüllung und einem Seelenheil, das man Joey geradezu anmerkt, wenn er trällert: „Yeah we went on up to St. Fallsberg, for some spiritual comforting. And I felt like a million dollars, something that money just cant bring.” Und auch der Verzicht auf Drogen wurde hier vom Texter angesprochen, der Joey – viel früher realisiert und umgesetzt – ganz sicher auch ein paar Lebensjahre mehr auf dieser Welt beschert hätte als nicht ganz 50. In „I Got Knocked Down (But I‘ll Get Up) verarbeitet der Sänger sein Leben mit der schweren Krankheit, die ihn die letzten Jahre seines zu kurzen Lebens begleitete, und seine schwindende Lebenskraft in einem deprimiert klingenden Songtext. „1969“ ist ein The-Stooges-Cover, das mir sogar besser gefällt als das Original der Iggy-Pop-Band. Mit „Don‘t Worry About Me“ verabschiedet sich Joey Ramone standesgemäß, der auf dem jüdischen Friedhof Hillside Cemetaryin New Jersey begraben liegt.