Jaz Coleman – Magna Invocatio – Spinefarm Records 2019

Von Matthias Bosenick (03.03.2020)

Jetzt bringt Killing-Joke-Sänger Jaz Coleman eben das gescheiterte Pledge-Projekt unter seinem eigenen Namen heraus. Nicht wild, das Ergebnis zählt: In Sachen Komposition ist der alte Knallkopp sowieso bestens bewandert, als Indierocker ebenso wie in der Klassik, und auf diesem Doppel-Album kombiniert er eben beides, indem er aus bereits existierenden Killing-Joke-Songs fabelhafte Klassikpartituren zaubert. Den mystischen Überbau kann man gepflegt ignorieren, die hohe Qualität dieser Musik nicht: Das ist nicht einfach nachgedudelt, in dieser „Gnostische Messe für Chor und Orchester“ steckt sowas von Musike drin.

Meistens erkennt man bei den ersten zwölf der 13 Tracks (der letzte ist exklusiv) schon an den ersten Takten die Originale von Killing Joke, und dann begreift man erst, wie hochkarätig diese schon komponiert sind. Das ist einem häufig ohnehin klar, aber man vergisst es bisweilen, während man etwa im Bunde mit Coleman „Asterooooooid“ grölt. Das Grölen überlässt Coleman hier ausgebildeten Sängern, einem beileibe nicht grölenden Chor mithin, sofern er die Stücke nicht sowieso instrumental lässt. Und instrumental umfasst hier zwischen minimalistischen Streichern und der Asservatenkammer von Richard Wagner alles, nur besser sortiert als bei letzterem. Die Philharmoniker aus St. Petersburg leisten beste Arbeit.

Mit seiner „Großen Anrufung“ will Coleman Magie ins Leben der Hörer bringen, und da geht der Zauber schon los. Coleman erweist sich als Mystiker und Okkultist, lehnt dabei jede Form von Satanismus ab und schwört wiederum auf Rituale und Gelübde, und all dies findet sich auch in der Musik von Killing Joke wieder. Einnehmend, entspannend, in Trance versetzend soll sie sein, sagt er mal in einem Interview, und wenn man die Songs einmal auf diese Attribute untersucht, stellt man fest, dass sie auch alle zutreffen. Coleman kann eben Melodien und Harmonien, und wenn die Musik, die dabei herauskommt, so schön und gleichzeitig so wuchtig ist, steckt man das Spinnerte daran einfach bereitwillig weg. Denn gleichzeitig deutet Coleman mit seinen Texten und seinen Erläuterungen auf den ganzen wirren Scheiß, der die Welt vor die Hunde gehen lässt, und setzt sich für Nachhaltigkeit und Freiheitlichkeit ein. Ein Spinner mit Vision also.

Und nun zaubert der Magier aus den heavy Indierocksongs also Klassik. Und das auch noch überzeugend, besser und ergreifender noch, als seine Umdeutungen von The Doors, Pink Floyd, Led Zeppelin, The Who und den Rolling Stones waren, besser noch als seine Sinfonien „Fanfare For The Millennium“ und „The Island“ sowie das Stück „Proměny“. Der Meister arbeitet die wunderschönen Killing-Joke-Melodien klar heraus und umspielt sie mit völlig neuen Passagen. Dabei verzichtet er, obwohl er die Dunkelheit hier hell erstrahlen lässt, auf Kitsch und gleitet weder in Richtung Filmmusik noch in die handelsübliche Klassikumsetzung von Erfolgsmelodien. Das Ding ist eigen – und groß.

Wer nun jedoch erwartet, die großen Hits in Klassikgewand zu bekommen, wird enttäuscht: „Love Like Blood“ fehlt, Coleman bedient sich zumeist bei den jüngeren Tracks aus der Zeit nach der Wiedervereinigung der Band in Originalbesetzung. Das älteste Stück ist „Adorations“ von 1986, dies und „In Cythera“ sind außerdem die einzigen hier vertretenen Singles. Mit „The Raven King“ erweist Coleman einmal mehr dem verstorben Paul Raven seine Ehre – der geistert nun seit 2007 beständig im Umfeld der Band herum. „Magna Invocatio“ ist Hui Buh mit Anspruch.

Die Stücke und die Originale:

01 Absolute Descent Of Light (Magna Invocatio Choral Fanfare) (nach „Absolute Dissent“ vom gleichnamigen Album, 2010)
02 The Raven King (von „Absolute Dissent“, 2010)
03 Intravenous (von „Extremities, Dirt And Various Repressed Emotions“, 1990)
04 You’ll Never Get To Me (von „Killing Joke“, 2003)
05 Absent Friends (von „Democracy“, 1996)
06 Invocation (von „Hosannas From The Basements Of Hell“, 2006)
07 In Cythera (von „MMXII“, 2012)
08 Big Buzz (von „Pylon“, 2015)
09 Adorations (von „Brighter Than A Thousand Suns“, 1986)
10 Into The Unknown (von „Pylon“, 2015)
11 Euphoria (von „Pylon“, 2015)
12 Honour The Fire (von „Absolute Dissent“, 2010)
13 Magna Invocatio (Gloria) (neu)