Iggy Pop – Live at Montreux Jazz Festival 2023 – earMusic 2025

Von Guido Dörheide (24.01.2025)

Iggy Pop, the Godfather of Punk (eigentlich eher der Pilgrim Father of Punk, denn er hat dieses Genre ja nicht adaptiert, adoptiert und verbessert, wie es Neil Young seinerzeit mit dem Grunge tat, nein, er hat es weiland in Ann Arbor, Michigan, USA, mit seinen Stooges begründet), begleitet mich seit nunmehr 39 Jahren durch mein Leben. Es war „Real Wild Child (The Wild One)“ von seinem Album „Blah Blah Blah“, das mich 1986, ein Jahr vor meiner mehr als verdienten Konfirmation, mit dem Schaffen von Jim Osterberg bekannt machte und mich sehr für den sympathischen Künstler einnahm.

Damals wusste ich nicht, dass Pop sich den Song nicht selber ausgedacht hatte, dass weder der Song noch das Album zu den wahren Höhepunkten seines Schaffens zählten, „The Passenger“ hatte ich noch nie gehört und die Stooges kannte ich nur als Curly, Larry und Moe. Dass es ein Wunder war, dass Pop noch am Leben ist, entnahm ich der Bravo (meiner wichtigsten Informationsquelle auf dem Gebiet der – hüstel, hüstel – Pop-Kultur, wie ich nicht müde werde zu betonen), die mich darüber informierte, dass es früher für Herrn Pop mal ganz normal gewesen sei, sich unter dem Einfluss von Substanzen auf der Bühne wahlweise zu erbrechen oder sich in Glasscherben herumzuwälzen. „The Passenger“ entwickelte sich dann in meiner Abizeiten-Stammdiskothek „Exil“ in Bodenteich (heute: Bad Bodenteich, damals war Bodenteich noch good, für „bad“ war das Exil zuständig) zu einem meiner Lieblingssongs, und derart angestachelt begann ich, mich mit Iggy Pops Werk vertraut zu machen, und das noch bevor „Lust For Life“ aufgrund seines Auftauchens im „Trainspotting“-Soundtrack seinen zweiten Frühling erlebte. „Candy“ mit der wundervollen Kate Pierson an den Backing Vocals, „American Cesar“, ein apselutes Welt-Album, und die spätere Hinwendung zu jazzigen, chansonnigen, queensofthestoneagigen und am Ende dann wieder rockigen, wenn nicht sogar punkrockigen Klängen – Iggy Pop hat in den ganzen langen Jahren immer abgeliefert und niemals enttäuscht. Auf der Leinwand habe ich ihn – als Frau verkleidet (Pop, nicht ich) in „Dead Man“ oder leinwandfüllend zusammen mit Tom Waits in Jim Jarmuschs „Coffee And Cigarettes“ (das IHOP hätte ich bei meinem ersten USA-Aufenthalt 2005 ohne Iggy nicht wirklich wertschätzen können) ebenfalls schätzen gelernt.

Iggy Pop, das ist eine überall wiedererkennbare Stimme mit einem überall wiedererkennbaren Midwest-Dialekt, das ist ein optisches Gesamtkunstwerk mit einem durchtrainierten und trotzdem irgendwie übel aussehenden Oberkörper, einem charaktervollen Gesicht, das auch mit Vollbart-Teilabdeckung nicht gesünder wirkt und das nur einmal sein schelmisches Lächeln aufblitzen lassen muss, und dann weiß man – Iggy ist ein Guter, Iggy ist lustig, Iggy ist sympathisch. Und vor allem: Iggy ist fast 78. Iggy steht noch auf der Bühne. Iggy schreibt noch neue Songs und nimmt neue Alben auf. Die mich immer wieder begeistern. Und noch besser: Iggy war 2023 in Montreux und die dortigen Festival-Verantwortlichen haben das alles mitgeschnitten und heuer auf Tonträger veröffentlicht.

Allein schon das Cover des Albums ist den Kauf wert: Der Herr Pop steht links am Bildrand auf der Bühne, bekleidet mit enger schwarzer Hose, weißgrauem Vollbart und sonst nichts und macht eine Iggy-Pop-Pose, vor der Bühne sieht man begeisterungsbekundende Hände und Unterarme und rechts darüber steht „Iggy Pop“ in blutrot und darunter „Montreux Jazz Festival 2023“ in der Schrift, die Iggys Freund, Produzent, Kollaborateur und Förderer David Bowie in den 90ern eigens für das Festival entwickelte. Wer hätte damals gedacht, dass der Herr Osterberg den Herrn Jones überleben würde?

Es gibt hier also einen neuen Tonträger von einem der stilprägendsten, eigensten, charismatischsten, gutaussehendsten und stimmgewaltigsten Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts zu erstehen, interessiert es jemanden, wie sich das anhört?

Nun: Großartig. „Live at Montreux Jazz Festival 2023“ enthält 17 Stücke und dauert fast anderthalb Stunden, ist großartig satt basslastig bombastisch produziert und hört von Anfang an nicht auf, den Hörenden die Tränen der Rührung in die Augen zu treiben. Wenn diese dann waagerecht zum Ohr hin abfließen (sorry, Walter Röhrl, für das Ausborgen des Zitats), dann sind die Marshalls korrekt auf 11 eingestellt.

Ich weiß nicht, wer die Songauswahl für das Montreux-Konzert zu verantworten hat, aber ihr/ihm sei auf jeden Fall Lob gezollt für immerdar: Mit „Five Foot One“ (vom 1979er Soloalbum „New Values“) und „TV Eye“ vom 1970er Stooges-Zweitlingswerk „Fun House“ startet das Set mit zwei Klassikern, und dabei fällt auf, dass a) der Bass angetreten ist, um den Ungläubigen den Arsch aufzureißen, und b) eine Bläsersektion ins Line-up aufgenommen wurde, die den Songs niemals den ursprünglichen Charme nimmt, sie aber gleichzeitig auf eine Art aufwertet, dass mit einerseits die Luft wegbleibt und ich andererseits gewahr werde, dass ich es hier mit einer Jazz-Festival-Performance zu tun habe. Beispiel „TV Eye“: Wo das Original von einer hektisch riffenden Gitarre – simpel, aber eingängig und effektiv – vorangetrieben wurde, tritt die Saitenfraktion hier diskret in den Hintergrund und überlässt es den Bläsern, Punkrock zu machen, als gäbe es kein Morgen – quietschende Soli und ausrastende Fans inklusive. Und Mr. Pop ist bei Stimme wie sonst niemand – das Alter von fast 80 Jahren hört man Iggy nicht an und auch von wegen der Drastizität (meine Mudda hätte früher gesagt „laxe Art“) seiner Ausdrucksweise ist er immer noch ein junger Wilder. „TV Eye“ beendet er mit der Ansprache „Lemme see everybody! Fuckin’ thanks, fuck fuck fuck!“ Und sagt dann den nächsten Song mit den Worten „It’s from my fuckin’ new album, it’s ‚Modern Day Ripoff‘“ an. Tatsächlich das einzige von zwei aktuellen Stücken bei diesem Konzert, was aber nichts macht, da die alten Songs immer noch eine Relevanz entfalten, die ihresgleichen sucht, und es andererseits aber auch nicht gestört hätte, hier mehr neue Songs zu hören, Und wer wäre ich, dass ich Iggy Pops Songauswahl für ein Konzert auf dem heiligen Boden von Montreux in Frage stellte? Ebent! Danach kommt dann „Raw Power“ vom 3. Stooges-Album „Raw Power“ – näher war Iggy nie an den MC5 dran (obwohl ich die Stooges, glaube ich, lieber mag als die MC5), und immer wieder mit großartigen Bläsern, die sich nicht in den Vordergrund spielen, und danach „Gimme Danger“ vom selben Album. Ja Hammer! Da spielt jemand, der so alt ist wie mein Vater, Songs, die älter sind als ich, und anstatt sich zu blamieren, gelingt es ihm, im hohen Alter nicht nur besser zu singen als damals, sondern diese Songs in einer Würde altern zu lassen, die man nicht für möglich hält. Auf „Gimme Danger“ folgt „The Passenger“ – in einer Version, die das Original und die großartige Coverversion von Siouxsie And The Banshees in einer Weise miteinander versöhnt, dass es förmlich nach einem künftigen Duett von Iggy Pop und Siouxsie Sioux schreit. Macht ihr? Wäre toll! Iggy lässt sich hier feiern und man kann es ihm nicht übelnehmen. Er ist der Passenger, schließlich.

Ab hier kann Iggy machen was er will, ohne dass das Publikum aufhört, ihm aus der Hand zu fressen, und warum sollte es auch. Mit „Lust For Life“, „The Endless Sea“ (auch wieder vom 1979er Album „New Values“) und „Death Trip“ (wieder mal die Stooges, wieder mal „Raw Power“ (1973)) macht er nichts falsch. „Lust For Life“ gewinnt mit den zusätzlichen Bläsern sehr, wenn Iggy hier jetzt hinter die Bühne gegangen wäre, um den wirklich guten Kaffee aus dem IHOP zu genießen, niemand hätte es ihm übelgenommen, aber was macht er? Er geht bei und liefert eine Vokalperformanz ab, dass man sich fragt, warum er den Song damals 1977 überhaupt aufgenommen hat, 2023 hätte vollkommen gereicht. Der Song swingt wie Sau und wie niemals zuvor und die Massen jubeln völlig zurecht und Iggy fasst es am Ende mit „Fuckin’ awesome“ kompetent zusammen, währenddessen die Band den monotonen Beat von „The Endless Sea“ anstimmt. Psychedelischer Reggae mit Sprechgesang, hier kommt Iggys Stimme so richtig schön zur Geltung. Am Ende dann eine typische Iggy-Ansprache zur Ankündigung des folgenden Songs (so wie ich es zumindest verstanden habe): „To the endless fuckin’ sea… allright motherfuckers, I’m gonna hit you hard right up the ass – we’re gonna take a fuckin’ trip together – not a fuckin’ beach trip, not a fuckin’ modern trip – we’re gonna have a Death Trip!“ Nach dem Song gibt es Sprechchöre seitens der Fans – „Iggy, Iggy, Iggy, Iggy“. Es folgt „I’m Sick Of You“, sehr schön psychedelisch mit sehr sehr schönen Bläsern und am Ende dann richtig Punk – mit Bläsern – und gröhlenden Fans („We got the poor people in the front and the rich people in the back!“) und dann einem schönen Ausklang mit schallgedämpfter Trompete und „Don’t you fuckin’ bother me!“ in Richtung der rich people. Beim anschließenden „I Wanna Be Your Dog“ vom 1968er, von John Cale produzierten Debütalbum der Stooges hätte ich nicht gewusst, was man dem ohnehin schon perfekten Original noch hinzufügen könnte, aber Iggy und seine Band meistern selbst das: Ein Gitarre/Bass-Wall of Sound wird aufgetürmt, dazu die bombastischen Bläser, dann gegen Ende ein psychedelisches, vom Wah-Wah geprägtes Gitarrensolo, Schreie von Iggy und dann der Refrain von den Fans gesungen. Tau schöön! Und weiter geht es mit einem weiteren Klassiker von den Stooges: „Search And Destroy“, wiederum schöön mit Bläsern angereichert, es ballert, es ballert und es ballert, bis es kaum mehr geht und dann erstmal minutenlang Fangesänge – völlig zurecht – und danach findet das Konzert mit einem weiteren Feuerwerk an uralten und immer noch tollen Klassikern ein Ende: „Mass Production“ vom 1977er David Bowie-produzierten düsteren Meisterwerk „The Idiot“ – ein weiterer Beweis dafür, dass Iggy immer noch zu singen im Stande ist wie vor weit über 40 Jahren – „Hey, fuckin’ thank you. After you spent enough of your life in fuckin’ mass production, then you wanna go out and get fucked up and do some fuckin’ night clubbing, baby!“ inklusive. Das Wort des Jahres according to Mr. Jim Osterberg steht zumindest fest, und genau so wollen wir ihn hören. Auf „Nightclubbing“ zeigt auch die Band nochmal, was sie drauf hat, Klavier, Bläser, everybody. Und dazu Iggys Stimme. Und sein Dialekt. Hammer.

Mit „Down On The Street“ und „Loose“ bleibt Iggy tief in den 1970ern und „Fun House“ verwurzelt, funky und heavy gleichermaßen, „down on the fuckin’ street, baby“, um sich dann mit „Frenzy“ noch einmal dem neuesten Soloalbum „Every Loser“ von 2023 zuzuwenden. Und wie: Das Schlagzeug ballert, die Bläser kriegen sich kaum ein und Iggy singt, als wäre es 1969, OK. Gegen Ende wird nochmal der „Wild One“ zitiert, und anstatt einer Ansprache, die noch gefühlte 100 mal „Fuck“ enthält, fadet die Aufnahme dann einfach aus. Und lässt die Hörenden begeistert und beeindruckt zurück. Ein fuckin’ great Livealbum eines ebenso fuckin’ great artist und fuckin’ lebendem fuckin’ Gesamtkunstwerk, no fuckin’ mass production, fuckin’ Bläsersektion, fuckin’ Songauswahl, fuckin’ awesome!