Von Matthias Bosenick (26.07.2023)
Okay, Leute, was für Musiker und Genres mögt ihr so? – Hm, Djent wie bei Meshuggah! – Devin Townsend! – Foreigner! – Achtziger-Progrock kurz vor Metal! – Operette! – Streicher! – Ambient! – Techno! – R’n’B-Chartspop! – Stadionrock! – Jau, perfekt, das mischen wir alles mal gut durch, und wenn euch noch etwas einfällt, packt es einfach mit rein, frisst ja kein Brot. Irgendwelche Strukturen, ach, machen wir einfach einen einzelnen Track draus, das wirkt dann wenigstens künstlerisch und nach Sendungsbewusstsein, ausgewählte knackige Elemente können wir immer noch als Single extrahieren. „Romancing The Ether“ heißt es, ist das fünfte Album des Quartetts Hemina aus Sydney und klingt genau so, wie im Anlauf erdacht – bunt gewürfelt, jedoch bewusst konsumiert äußerst anstrengend.
Es beginnt damit, dass die Stimme des Sängers viel zu hoch ist: Douglas Skene klingt nach Lou Gramm, dazu lässt er sich gern wie Devin Townsend von einem Chor begleiten. In seinen hohen Lagen entwickeln der Hörenden Ohren einen Schließreflex und das Hirn enorme Schwierigkeiten, die Stimme mit der Musik in Einklang zu bringen. Die will vorrangig Metal sein, groovt mal wie beim Djent und progrockt mal wie bei Queensrÿche, heißt: In ersteren Passagen verlangsamt der Drummer zwischendurch mal für vier Takte das Tempo gegen den Rhythmus und legt dann für weitere vier Takte einen Blastbeat los, während Gitarre und Bass tiefergelegt grooven, um dann sofort wieder das Genre zu wechseln, etwa in zweitere Passagen, in denen die Gitarren in hohen Tönen kreischen wie bei Achtziger-Popmetal-Bands, bevor sie in stadiontaugliches Twingegniedel verfallen.
Das Poppige nehmen die Melodien häufig auf, egal, ob musikalisch oder gesungen; Drama und Pathos, wie man sie schon im aktuellen Radioprogramm oder bei Operetten nicht ertragen kann. Dazu flitzen die Finger über die Griffbretter. Oder auch mal nicht, dann schalten die Instrumente um und es wird chillig, technoid oder akustisch. Die Passagen wechseln so häufig, dass man sich an die einzelnen Blöcke gar nicht gewöhnen kann, weil sofort ein neuer kommt, immerhin recht beatgenau, also nicht ganz wie aneinandergereihte Holzklötze; erst gegen Schluss in den tatsächlich balladesken Momenten verharrt die Band für eine kurze Weile in der Stimmung und lässt sie wirken, bis sie dann zum Ende des Tracks stolpert. Auf „Empath“ von Devin Townsend herrscht auch so ein Durcheinander, und man hört deutlich heraus, dass sich Hemina hier inspirieren ließen.
Es fällt schwer, „Romancing The Ether“ zu genießen, weil einfach zu viel passiert, das nicht zueinander passen mag, auch wenn die Band alle Elemente für sich gehört ausgezeichnet beherrscht. Und dann noch ein Album mit nur einem Track, uff, auch wenn Auszüge wie „Strike Four“, „Embraced By Clouds“ oder „Revelations“ als separate Singles parat stehen, die dem Gesamt-Track indes immer noch keine nachvollziehbare Struktur verleihen, wenn man sie einzeln hört. Laut Band ist der 35-Minuten-Track seinerseits unterteilt in sechs Kapitel, aber auch das erschließt sich nicht so einfach. Was dem Ganzen ein Krönchen aufsetzt, ist, dass es sich bei „Romancing The Ether“ progrockbedingt nicht nur um ein Konzeptalbum handelt, sondern dies das fünfte in einer Reihe von Konzeptalben ist, die ein Gesamtkonzept ergeben. Irgendwas mit Adoleszenz und Familie und so.
Ein-Track-Alben sind nun auch nicht so neu, grundsätzlich nicht sowie ebenso wenig im Progrock und im Metal. So etwas gab’s in den Sechzigern im Jazz, in den Siebzigern im Minimalismus, in den Achtzigern in Krautrock und Ambient, in den Neunzigern im Doom, irgendwas Experimentelles geht immer in Überlänge, auch Black Metal. Da wären „I“ von Meshuggah, „Yeah! Yeah! Die! Die! (Death Metal Symphony In Deep C)“ von Waltari, „Amarok“ von Mike Oldfield, „The Courtauld’s Talk“ von Killing Joke, „Lysol“ von den Melvins sowie weitere 500 Beispiele. Das neue Album von Hemina reiht sich da nun ein, aber die aufgelisteten Alben hört man gewiss weitaus häufiger als „Romancing The Ether“.