Von Matthias Bosenick (03.10.2021)
Das geht gleich wieder geil los, mit knarzigen analogen Synthies, deepen Beats, grandiosen Melodien und souligem Gesang. Auf „Mobile Home“ sind GusGus aus Island wieder zu dritt, und zwar mit Margrét Rán Magnúsdóttir von der Band Vök als inzwischen 15. Bandmitglied seit 1995. Die Gesten sind nach wie vor groß, die Songs indes wieder näher am Pop als an der epischen Kathedrale, aber nicht weniger geil. Ein Ohrwurm jagt den nächsten, man mag das Album gar nicht mehr weglegen. Eine Großtat mit der Option auf das Album des Jahres!
Man liest es ja so oft, dass etwas Unbekanntes in einer gerechten Welt populärer oder erfolgreicher wäre, und auf „Mobile Home“ trifft zumindest zu, dass man die Songs recht gern im Radio hören würde und sich dabei ausmalt, dass sie auch die weichgekochten Hörer nicht verschrecken würden, idealerweise sogar so weit aufrütteln, dass sie wenigstens einmal pro Tag aus dem Einheitsbrei aufschrecken und aufhorchen. Ja, geile Popmusik, die nicht dem aktuellen Zeitgeist entspricht – zum Glück.
Vor rund 20 Jahren hatten GusGus bereits eine Phase, in der sie eher chartstaugliche Musik produzierten, mit „This Is Normal“ und „Attention“, als man etwas enttäuscht fürchtete, das einst so organisch ausgerichtete Tanzmusikkollektiv an den Mainstream zu verlieren, bis dann nach fünfjähriger Pause und dem Album „Forever“ die jetzige Phase begann, die zwar auch nicht nach den Ursprüngen klingt, aber mit den deephousigen uferlosen souligen Tracks etwas komplett Eigenes bietet. Im Rückblick sind dann auch bei den Popalben tolle Songs auszumachen, und so fällt es umso leichter, den Sprung hin zu „Mobile Home“ nicht nur zu akzeptieren, sondern zu feiern: Man ist darauf vorbereitet, das Deepe in kompakt, eingängig und trotzdem experimentell genug zu bekommen.
Denn klassischen Songstrukturen folgt „Mobile Home“ nicht zwingend, also nicht dem typischen Strophe-Refrain-Brücke-Ding, jedenfalls nicht oberflächlich betrachtet. Dafür sind die Songs doch zu anders konzipiert, auch zu langsam, im Downbeat, der nicht balladesk ist, sondern trotzdem clubby, und das muss man erstmal hinbekommen. So haben die Strophe-Passagen mehr Raum, mehr Identität, mehr Abwechslung, und lassen einen Refrain gar nicht vermissen. Diese Strukturen generieren GusGus dabei sowohl mit dem Gesang als auch mit der Musik: Ihre typische deepe, minimalistische Clubmusik aus dem analogen Synthie garnieren sie mit Spielereien wie Klickeffekten oder Distortions sowie mit dezent eingestreuten eingängigen Melodien. Eine Synthiespielerei wie in „Out World“, die nach 8-Bit-Computerspielen klingt, stört dabei nicht einmal, sondern macht gute Laune und bereichert den Song, da sie nur dezidiert erklingt. Denn im Refrain, und dieser Song hat einen, überrascht das Stück mit Reggae-Rhythmus und zweistimmigem Call-and-response-Gesang.
Die weibliche Stimme hat auf den vorherigen Alben gefehlt, jetzt ist mit Margrét Rán Magnúsdóttir endlich wieder ein Kontrapunkt zum samtenen Signaturgesang von Daníel Ágúst Haraldsson dabei. Eigentlich wollten GusGus offenbar lediglich für den Song „Higher“ mit ihrer Band Vök zusammenarbeiten, jetzt ist ihre Stimme bei mehreren Liedern auf dem Album zu hören. Ein weiterer Gast ist der Wahlisländer John Grant, der in „Love Is Alone“ singt; eine naheliegende Kooperation, eigentlich. Dritter der Hauptbesetzung ist natürlich Birgir Þórarinsson (alias Biggi Veira alias Biggo), der einzige, der von Anfang an durchgängig Mitglied von GusGus ist. Fun Fact, nicht oft genug zu wiederholen: Zur zwölfköpfigen Urbesetzung gehörte 1995 noch Emilíana Torrini Davíðsdóttir, die 2009 mit „Jungle Drum“ weltweit die Charts erfrischte.
Man kann, wenn man will, auf „Mobile Home“ die Achtziger heraushören, den Chartspop, der noch mit Wagemut und Experimentierfreude die Massen überzeugte, was bei GusGus an den Instrumenten und an den Kompositionen gleichermaßen liegt. Umso verwunderlicher ist es, dass sie trotzdem eher von einer kleinen eingeschworenen Fangemeinde gefeiert werden. Dabei empfiehlt sich „Mobile Home“ aus dem Stand für Toppositionen jeglicher Jahresbestenlisten. Geilster Song des Albums dürfte „The Rink“ sein – und größte Enttäuschung, dass das Album bei Bandcamp vier Stücke mehr hat als die LP und die CD, darunter drei Remixe und mit „Chernobyl“ ein komplett exklusives Stück. Vielleicht alles mal als separate 12“?