Von Matthias Bosenick (21.12.2023)
Der Titel passt, auch wenn er – nun – billig wirkt: „DanceOrama“, mit Binnenkapitale, als wäre es 1995 und das Wort eine Idee des Wolfsburger VW-Marketings. Das Cover des zwölften Albums der isländischen Analog-Deep-House-Soulband GusGus (auch Gusgus, gusgus oder Gus Gus geschrieben und Güsgüs gesprochen) repräsentiert dieses Billige, die Musik gottlob nicht: Man erkennt GusGus am Sound, und doch unterscheidet sich viel von dem, was man von ihnen bereits im Regal stehen hat. Das Kunstvolle und Kathedralige sind etwas zurückgenommen, nur vier der neun Tracks haben Gesang und GusGus wildern in Retro-Anmutungen, die bis ins Cheesige reichen. Nicht drauf ist das mit John Grant erstellte Fancy-Cover „Bolreo (Hold Me In Your Arms Again)“, aber das gab diese neue Richtung schon ganz gut vor. Es bleibt zunächst weniger Musik instant haften als noch beim Vorgänger „Mobile Home“, an diese Häutung muss man sich gewöhnen. Immerhin kann man dazu prima tanzen.
Erstaunlicherweise beginnt das Album mit dem flott temperierten Instrumental „The Terras“ noch mit einer Anmutung, die GusGus in de Neunzigern zu ihrem eigenen Start als dutzendköpfiges Kollektiv, als die Synthies noch wild modulierten, sich die Tracks ewig streckten und die ganze Musik noch etwas Organischeres hatte, trotz der elektronischen Instrumente. Den Bruch zu damals erzeugt hier das kratzige Pseudo-Piano, das eine fast schon aggressive, simple Melodie über die Sounds und die Handclaps legt. Der Track zieht die Hörenden sofort ins Album, man ist mittendrin im Club.
Dann schalten GusGus einen Gang zurück und leiten mit „Rivals“ die Vocal-Sequenz des Albums ein, die den Rest der A-Seite einnimmt. Daníel Ágúst selbst singt, die Stimme, die man am stärksten mit dem souligen Deep House von GusGus verbindet, und genau diese Richtung schlägt der Song auch ein. Große weite Räume, gebremstes Tempo, trotzdem energetisch und tanzbar, viele Sounds aus der Großraumdisco, so kennt man GusGus ungefähr seit „Forever“, also seit 2007. Auch „When We Sing“, was hier Margrét Rán Magnúsdóttir von Vök übernimmt, die auch auf „Mobile Home“ schon ihre stimmliche Wärme einbrachte, greift diesen Stil noch auf. Doch so bleibt „DanceOrama“ nicht, auch wenn sich die Strukturen unter den Tracks fortsetzen, aber darüber schlagen die Isländer andere Kurse sein. Die jüngste Single „Unfinished Symphony“, auf der die beiden bisher Singenden duettieren, komprimiert den GusGus-Sound zu einem trockenen Neunziger-Charts-Stück, das im Refrain etwas Abba-Harmonie in sich trägt und zusätzlich dem cheesigen Teil des Italo-Pops huldigt – Fancy bricht sich Bahn. Das bereits zehn Jahre alte „Breaking Down“, ein Duett von der Sängerin Earth alias Urður Hákonardóttir und dem Ex-GusGus-Sänger Högni Egilsson, driftet musikalisch noch mehr in die von Hi-Hats dominierte Billo-Eurodance-Richtung.
Auf der B-Seite lassen GusGus bedauerlicherweise die Stimmen weg. Instrumentals sind in ihrem Oeuvre zwar keine Seltenheit, aber so stark vertreten wie auf „DanceOrama“ waren sie noch nie. Und so wenig GusGus auch nicht. „Chaos Machine“ könnte bis zur Hälfte glatt von Underworld sein, mitten aus den Neunzigern, als die ihre Identität als Technoband erst fanden und entwickelten. Treibender Beat, klickernde Sounds, spärliche Synthies, schön, aber nicht GusGus. Die abermals cheesigen Synthiesounds, die später einsetzen, ebenfalls nicht. Der Titeltrack drückt aufs Gas und offeriert sieben Minuten Abzappeln auf der Tanze – stressig, zackig, auch nicht eben GusGus. „Mu“ kehrt zurück zu den entschleunigten Deep-House-Sounds, reichert sie aber mit einem Balearen-Piano und einem eher nervenden Synthiesound an. Der Rauswerfer „Useful Data“ hat einen treibenden Goa-Trance-Beat mit starker Neunziger-Anmutung und wieder verträglichere Sounds, ein versöhnlicher Abschied von diesem Album.
Auch nach mehreren Durchgängen ist „DanceOrama“ eher enttäuschend. Wer weiß, was Soundmagier Biggi Veira – der einzige übrigens, der durchgehend seit 1995 GusGus-Mitglied ist – sich dabei gedacht hat, seine Band in so eine Richtung zu schieben. Blickt man zurück, war man zur Jahrtausendwende von „This Is Normal“ und „Attention“ auch schon eher abgeschreckt, weil sie aus der anarchischen Tanzkunst der beiden ersten Alben chartsorientierte Clubschlager machten. Erst mit der Neuausrichtung „Forever“ begann 2007 die zweite Liebe für GusGus, die einen dazu brachte, auch die ausgeklammerten Alben irgendwann zu mögen. „Ladyshave“ und „David“ sind ja doch nicht so üble Singles, aber danach wurden GusGus einfach erheblich besser. Sie errichteten Kathedralen und schufen Kunst, doch beides bleibt auf „DanceOrama“ weitestgehend auf der Strecke.
Nicht nur das Fancy-Cover, auch die virtuellen Singles „Into The Strange“ und „Eða?“ fehlen auf diesem Album. Bedauerlicherweise, besonders „Into The Strange“ ist ein schmerzlicher Verlut. Da ist wohl eine Raritäten-Compilation mal überfällig, auch mit den ganzen Remix-EPs, die es nur als Download gab. Bleibt zu hoffen, dass Album Nummer 13 ein zweites „Forever“ wird. „DanceOrama“ ist jedenfalls das erste GusGus-Album seit 16 Jahren, das es nicht in die persönliche Jahresbestenliste schafft. Und ja, der Vollständigkeit halber sei es abermals erwähnt: Emilíana Torrini startete ihre Karriere 1995 mit Gus Gus.