Gov’t Mule – Peace … Like A River – Fantasy Records 2023

Von Guido Dörheide (17.08.2023)

Seit ich weiß, dass man nutzloses Wissen auch unter dem nom de plume „Fun Facts“ an egal wen (m/w/d) verbreiten kann, macht es mir noch mehr Spaß. Oesdann, gemmas o: „Government Mule“ heißt nicht etwa „Regierungs-Maultier“ oder „Regierungs-Maulesel“ (BTW nutzloses Wissen: Die/Der Erste, die/der mir den Unterschied zwischen Maultier und Maulesel (m/w/d) meldet und mir an Eides Statt versichert, bei der Suche nach der Antwort NICHT gegoogelt zu haben, bekommt zwei Flaschen Bier seiner Wahl aus einer braunschweigischen Kraftbierbrauerei seiner Wahl von mir frei Haus geliefert, muss also selber nur das Bier bezahlen), sondern, wie es meine liebe Großtante Anita aus Bochum, bevor sie im letzten Jahr verstarb, immer formulierte: „Diecken Poppo.“

Hervorgegangen aus der Allman Brothers Band, spielen Gov’t Mule vorwiegend Southern Blues Rock, und alle paar Jahre mal wagen sie sich mittels ausschweifender Livealben auch in andere Gefilde hinein. Beste Beispiele dafür und zwei meiner Lieblingslivealben aller Zeiten sind „Dark Side Of The Mule“ (mit Pink-Floyd-Covers einschließlich der kompletten Dark Side Of The Dings) und „Dub Side Of The Mule“ (mit zahlreichen Kollaborationen mit Toots Hibbert und Gregg Allman).

Heuer meldet sich die Band um Gitarrist und Sänger Warren Haynes mit einem neuen Album zurück, das einen direkt in die 70er Jahre zurückversetzt. Und jahaaa – ich gebe zu, ebendiese 70er überhaupt nicht miterlebt zu haben (zumindest nicht musikalisch; an den roten K70 meines Vaters, die Einkaufstouren mit meiner Mutter zu „Blau Gelb“ in Gifhorn-Gamsen und an meinen ersten Grundschullehrer Harmut Knapke mit seinem goldmetallicfarbenen Opel Rekord mit den nachgerüsteten dritten und vierten Bremsleuchten kann ich mich noch lebhaft erinnern, ansonsten gab es nur ABBA und Roland Kaiser), sondern sie nach der Reifeprüfung in den 90er Jahren auf zahlreichen wunderschönen CDs nachempfunden zu haben.

Das erste, was beim Einlegen des Tonträgers auffällt, ist die Länge der darauf enthaltenen Musik: Sechsundsiebzigeinhalb Minuten Musik bei 12 Stücken, dargeboten von der Band eines über 60jährigen Bandleaders – o haue ha, das könnte anstrengend und eintönig werden.

Wird es aber nicht, jedes einzelne Stück auf „Peace … Like A River“ dürfte nicht kürzer sein, als es hier dargeboten wird. Was erwartet uns also hier? Zuallererst Warren Haynes’ leicht röhrender, sich aber dabei nie in den Vordergrund spielender Gesang. Wenn jemals der südstaatliche Bluesrockgesang amtlich gewürdigt werden sollte, dann exakt genau so und nicht anders. Haynes ist zudem in der Lage, einen Gesang hinzulegen, der Roger Waters und David Gilmour gleichermaßen a) gerecht wird und b) in den Schatten stellt. Und das ganz allein. Gleichzeitig. Hinzu kommt Haynes’ Gitarrespiel, natürlich auf einer Les Paul mit gefühlt 3 Dezimeter dicken Saiten und einem tollen Gespür für songdienliche Soli. Unterhalb dieser Sounds ist noch genug Platz für einen Bass, der für eine psychedelische Stimmung sorgt und dabei vom Schlagzeug mehr als nur unterstützt wird. Zusätzlich on Top obendrauf gibt es wahlweise elektrisches Klavier und Orgel, je nachdem, wonach der jeweilige Song gerade verlangt. Wie, klingt von der Prospektlage her nach den Doors? Ja, von der Atmosphäre auch!

Das würde nach meinem Dafürhalten schon für eine Punktevergabe ausreichen, die keinen Platz mehr auf der nach oben offenen Duane-Allman-Skala mehr findet, aber Haynes und seine Kollegen sind sich nicht zu blöd, immer und immer nochmal mehr einen draufzusatteln: Auf „Shake Your Way Out“, dessen Gitarrenarbeit die ZZ Top der 70er Jahre hochleben lässt, lassen sie Billy Gibbons singen – und das harmoniert auf das Perfekteste zusammen, und trotz einer Länge von knapp sechseinhalb Minuten wünscht man sich, das würde ewig so weitergehen. Auf „Dreaming Out Loud“ jagen sich Gitarre und Orgel gegenseitig durchs Studio, nach kurzer Zeit kommen hektische Bläser hinzu, Bass und Schlagzeug bilden ein hochgradiges funkiges Fundament dafür, und nach knapp anderthalb Minuten, die bereits genügt haben, alle Zuhörenden von der Qualität des dargebotenen Materials überzeugt zu haben, steigt dann Ruthie Foster in den Gesang mit ein. Voller Soul und mit Schmackes. Das anschließende Bläsersolo wird dringend benötigt, um sich von dieser Energie zu erholen.

Wer immer schon frustriert war, dass er zu Lynyrd Skynyrd oder den Blues Brothers nicht gescheit headbangen kann, und den es darüber hinaus zu psychedelischer Musik hinzieht, wobei ihn die ganzen Allman-Brothers-Band-Scheiben in seinem Plattenregal langsam nerven, soll gerne mal bei Gov’t Mule zugreifen. Und wer jetzt noch nicht überzeugt ist, für den habe ich hier den apselut finalsten aller Anspieltipps: „The River Only Flows One Way“: Siemenhalb Minuten Gitarre, Bass, Schlagzeug, Orgel und Saxophon, gleichzeitig klirrend und brummend, mit Anflügen von Reggae im Hintergrund und dabei sehr düster, ohne zu deprimieren. Also auf jeden Fall hier mal reinhören und wenn das gefällt, dann ist der Rest von „Peace … Like A River“ ein Selbstgänger. Wer hingegen schon beim Opener „Same As It Ever Was“ entzückt ist, dem sei gesagt: „Zugreifen!“ Es wird im Verlauf des Albums vielleicht anders, aber niemals schlechter.