GGGOLDDD – This Shame Should Not Be Mine – Artoffact Records 2022

Von Guido Dörheide (20.04.2022)

Gold haben sich umbenannt in GGGOLDDD, und das könnte daran liegen, dass das neue Album „This Shame Should Not Be Mine“ einen stilistischen Bruch mit den bisherigen Veröffentlichungen der niederländischen Band markiert. Es handelt sich um ein Konzeptalbum, in dessen Songs die Sängerin Milena Eva thematisiert, dass sie im Alter von 19 Jahren vergewaltigt wurde. Entsprechend des Themas ist „This Shame Should Not Be Mine“ ein sehr intimes und naturgemäß verstörendes Album, denn es behandelt das schlimmste Verbrechen, das einem Menschen angetan werden kann.

Gold/GGGOLDDD haben in musikalischer Hinsicht eine sehr schöne Weiterentwicklung hinter sich: Auf ihrem ersten Album „Interbellum“ (2012) machten sie gitarrenlastigen Indie-Rock, mit der Betonung auf Rock, die wundervolle Gesangsleistung von Milena Eva fiel damals schon auf. Mir zumindest. „No Image“ (2015) polterte gleich zu Anfang schön gotisch los und donnerte düster und leicht bedrohlich weiter. „Optimist“ (2017) arbeitete mehr mit Klangwänden, zu denen sich auf der Tanzfläche perfekt der Zustand der eigenen Schuhe überprüfen lässt. Das wurde auf „Why Aren‘t You Laughing“ (2019) konsequent fortgesetzt.

Gold war damit eine dieser typischen Bands, deren Werke von Metal-Magazinen besprochen werden, obwohl sie keinen Metal spielen. Golds Songs wiesen aber stets eine starke Seelenverwandtschaft zu verschiedenen (eher düsteren) Metal-Subgenres auf. Die beiden Büroklammern, die die verschiedenen Stile zusammenhielten, waren Milena Evas Stimme und ihre Art zu singen. Von dunkel bis glockenhell und immer irgendwo der Gotik verpflichtet, aber nicht im Sinne von „Ich habe eine Musical-Ausbildung, nun hört mal her!“, sondern immer eine bis mehrere Nummern authentischer, das war eins der Alleinstellungsmerkmale der Band.

Milena Eva beeindruckt und begeistert nach wie vor, auf dem neuen Album sogar mehr als zuvor, und im Gegensatz zu den vorherigen Alben tritt sie wesentlich weiter in den Vordergrund, und das, ohne irgendetwas an sich zu reißen oder die Band dabei gleichzeitig in den Hintergrund zu drängen. Sie gibt in den zehn Songs einen sehr intimen Einblick in ihr Innerstes, was auf der einen Seite verstört und auf der anderen fasziniert: Der Inhalt des Albums ist über alle Maßen schrecklich, die Musik, in der das verarbeitet wird, ist düster, teils beängstigend – und doch wunderschön.

Daher zuerst einige Worte zur Musik: Mehr als zuvor variiert Milena Evas Stimme, die Klangwände, die sie in den Hintergrund verbannen könnten, sind weg, Gitarren gibt es immer noch zuhauf; dennoch entsteht bei der/dem Hörenden der Eindruck, er habe es eher mit einem gotisch-synthetischen Werk zu tun. Das erste Stück „I Wish I Was A Wild Thing With A Simple Heart“ beginnt erstmal mit Stille, so einer Art synthetischem Windrauschen, dann setzt ein so ein Bass-Synth-Ding ein, dann irgendwas, das ich als synthetische Streicher identifiziere (kann aber auch eine overgedubdete singende Säge sein – passen würde das allemal), dann setzt der Gesang ein – tief – und ein Schlagzeug kommt hinzu. Dann die Gitarre, die allen tollen 80-Jahre-Gothic-Bands ein schönes Denkmal setzt. Auf einmal ist das Lied zu Ende und man wundert sich.

„Strawberry Supper“ wird zunächst fast allein von der Stimme getragen, einiges höher als auf dem Stück zuvor, Gänsehaut. Dann schaltet Milena Eva wieder einige Oktaven (ja – OK, Übertreibung) herunter, ein synthetisches (sorry für so oft „synthetisch“) lauteres Klanggebilde tritt hinzu, noch mehr Gänsehaut. Auf „ Like Magic“ erreicht die Stimme dann ungeahnte Höhen, geht dann wieder tiefer, dann wieder rauf – unglaublich. Das, was Milena Eva (nochmal sorry – ich schreibe immer den kompletten Namen aus – aber es widerstrebt mir, immer nur von „Eva“ zu schreiben, als handele es sich um einen Vornamen) da leistet, wirkt an keiner Stelle wie „He – hört mal, was ich alles mit nur einer Stimme machen kann!“, sondern passt immer zu dem, wovon sie singt, und erzeugt die Wirkung, die am besten passt. Auf „Spring“ wechseln sich Gesang, der sich zwischen Härte und Verletzlichkeit abwechselt, mit krachigen Instumentalparts ab. Das fällt überhaupt auf: Im Gegensatz zu den früheren Werken werden hier Gesang und Klangwand nicht übereinandergelegt, sondern hintereinandergetan, was dem Gesang mehr Raum und haufenweise Wirkung gibt und der Krachigkeit des Instrumentalkrachs zur mehr Krachmächtigkeit verhilft.

Herz- und Kernstück des Albums ist das knapp siebeneinhalbminütige „I Won‘t Let You Down“: Es baut sich langsam mit wunderschönen Gitarrenrückkopplungen auf, dann setzt ein – was sonst? – synthetisches Klavier ein, dann singt Milena Eva und – wie so oft zuvor – Gänsehaut. So geht es weiter und weiter und irgendwann schiebt sich dann doch so eine Klangwand in den Song, ein Teil des Schlagzeugs wird rückwärts abgespielt (jahaaaa – das war schon weiland auf „A Forest“ ein prima Düsterkeitsverstärker), erstmals gewinnen die Instrumente Oberhand über Milenas Stimme (was aber absolut einvernehmlich anmutet) und bringen das Lied allein würdevoll zu Ende.

Dann kracht es wieder: „Notes On How To Trust“ – 80er- oder 90er-Jahre-Düsterrock-Intro vom Feinsten, dann – vollkommen unvermutet – überlassen die Instumentalist*innen Milena das Feld – und raten Sie mal: Haut eines großen weißen Vogels mit „G“. Sobald die Strophe zu Ende ist, wieder zurückgenommen krachige Düsternis. Und mein Musiklehrer in der Mittelstufe, Herr Bartsch, hatte Recht: Zum Verbreiten ganz düsterer Stimmung kann man sehr viele hohe Töne verwenden!

Danach folgt das Titelstück: Synthiegeplucker, und dann wieder dieser Gesang. In der Tonlage, von der ich mir vorstelle, wie Milena Eva auch spricht. Dann geht es tonlagenmäßig nach oben, synthetische Streicher, triphoppiger Beat – alles passt. Und denne die mit hoher, kraftvoller Stimme vorgetragene Titelzeile „This Shame. Should not. Be mine.“ Diesmal nicht Gänsehaut, diesmal eher Heulen. Aber mehr zu den Texten dann später. Wird eine etwas längere Rezension diesmal. „On you“ ist ein ganz ruhiges Stück mit viel Orgel, die den Gesang ein Stück aus der Realität wegrücken zu scheint, und umso mehr geht das Stück allein vom Klang her schon zu Herzen.

Und dann – ein schöner Bruch – „Beat By Beat“ startet mit einem Mischmasch aus Streichern und Basssynth, dass alles möglich scheint – entweder es ballert gleich technomäßig los oder es wird traurig. Dann Milena – sehr hoch, sehr intensiv – der Synth bleibt, der Song donnert eben genau nicht los. Denkt man, und dann wird doch noch eine Klangwand aufgetürmt, Milena schreit dazu, singt dann wieder – dann noch anderthalb Minuten Klangwand und man hat das Album überstanden.

Und will es anschließen sofort wieder hören, es ist ein wirklich eindrucksvolles Musikerlebnis, das in jeder Sekunde total authentisch und ehrlich klingt. Rein musikalisch hätte ich hier schon mal 11 von 10 Punkten vergeben – angesichts des Inhaltes käme ich mir aber ziemlich scheiße vor, wenn ich nicht nochmal von vorne begänne und die Texte betrachtete:

Zunächst der Albumtitel: Scham, Schande und Schlimmeres sollte fürwahr nicht das Opfer empfinden müssen – tut es aber leider dennoch. Die Ich-Erzählerin des Albums ist nicht das Wild Thing mit einem einfachen Herzen und kann nicht das Leben hereinlassen – mit einem Lächeln im Gesicht. Das erträgt man noch, aber schon beim zweiten Song wird es konkreter: Sie will nur geliebt werden, will schön sein, bewundert/anerkannt werden – und er lockt sie an und zieht sie herunter. Übrig bleibt die Feststellung „Boys will be boys – that‘s what everybody says“ – aber es war eben genau er, der sie genau hierher gebracht hat. Nicht weit her mit der durch die Kleiderwahl auf dem Albumcover ins Spiel gebrachten Ritterlichkeit.

Auf „Like Magic“ wird es dann noch deutlicher: Die Erzählerin beschreibt sich als ein leichtes Ziel, das den Schmerz liebte – am Ende ist es nur noch ihr Verstand, der sie über Wasser hält, ansonsten ist sie leer. Dann „Spring“: Das Opfer sah es nicht kommen – will, dass der Geruch sie verlässt, und duschen, bis ihre Haut sich ablöst. Und fragt sich, „Was habe ich getan?“ Und draußen behaupten die Blumen, es wäre jetzt Frühling. Musik Gänsehaut, Texte Heulanfall.

„Invisible“ rührt dann alles bisher Geschilderte nochmal auf: Zuviel Wahrheit ist nicht erträglich, der Versuch, es geheim zu halten, nicht zu heilen, alles aufgeben wollen, es aber dann doch in sich zu behalten. Es strengt sehr an, das alles mit anzuhören, aber jetzt will man auch unbedingt alles wissen. Der Titel „I Won‘t Let You Down“ verwundert zunächst – dann stellt sich heraus: Er ist aus der Sicht des Anderen formuliert – und nichts davon war wahr. Ganz ehrlich: Niemand muss perfekt sein und es geht absolut gar nicht, einem anderen Menschen das Versprechen abzuringen, ihn niemals zu enttäuschen oder zu verletzen. Aber in diesem Songtext geht es nicht um ein überzogenes Bankkonto oder einen nicht gemachten Hausputz – sich dann anzuhören, dass ein Gewalttäter beteuert, dass man auf ihn zählen könnte – das tut beim Zuhören echt weh.

In „Notes On How To Trust“ fragt sich die Erzählerin, wie sie dahin gekommen ist, wo sie ist, und wie sie jemals wieder zu leben beginnen kann – und entscheidet sich für Vertrauen als beste Art der Vergeltung. Sehr gut. Im Titelstück macht sie sich Gedanken, was sie denn falsch gemacht hätte (ja verdammt – nichts!) und kommt zu dem komplett richtigen Schluss, dass diese Schande eben nicht ihre eigene sein sollte. „On You“ handelt davon, dass sich die Protagonistin fragt, ob irgendwas an ihr ihrem Lebensabschnittsgefährder ihr nicht recht gewesen wäre – zu dick, zu dünn, zu viel irgendwo dazwischen? Sie wird den Schmutz auf jeden Fall abschütteln und der Dreck fällt auf ihn selbst zurück – das gibt Hoffnung.

Und im letzten Stück „Beat By Beat“ arbeitet die Hauptdarstellerin dann darauf hin, das Erlebte „beat by beat“ zu überwinden. Und hinterlässt die/den Hörenden in einem komplett aufgewühltem Zustand. Wenige Alben höre ich, wenn ich sie neu habe, immer und immer wieder, „This Shame Should Not Be Mine“ läuft in meiner Küche heute Abend schon zu vierten Mal hintereinander. Nicht von ungefähr.

Zum Schluss noch ein Wort zum Cover-Artwork: Milena Eva mit ernstem Gesicht in einer Ritterrüstung ohne irgendwelchen Text. Das passt zum eben Gehörten.