Von Matthias Bosenick (06.05.2025)
Über „Most Fun“, dem zweiten Album der aus politischen Gründen von St. Petersburg kurioserweise ausgerechnet nach Istanbul ausgewanderten Band Fuzziliers, steht riesengroß das Wort POP, und zwar der aus den Sechzigern, als harmonischer Chorgesang und psychedelisches Gitarrenspiel für euphorisierende Hörgenüsse sorgten. Doch das Quartett belässt es nicht dabei, sondern fusioniert seinen Fuzz mit dem des Neunziger-Britpops und generiert erbauliche, gutgelaunte und musikalisch eindrucksvolle Perlen, die ordentlich Sonne in den Alltag bringen. So ganz ohne Melancholie geht das nicht, angesichts der genannten und bekannten Umstände, aber erst in so einem Kontext funktioniert Ermunterung ja so richtig.
Die Fuzziliers machen vor gar nichts Halt. „Most Fun“ als Titel passt wie die Faust aufs Auge: Hier gibt’s größtmöglichen Spaß, und aber auch: lediglich das meiste hier ist Spaß. Denn so ganz von der Hand zu weisen ist es nicht, dass es Anlass zur Melancholie gibt, aber eben auch den Willen, dagegen vorzugehen und damit auch noch andere zu erbauen. Dafür lassen die vier die Gitarren jangeln, als sei der Verzerrer noch nicht erfunden worden, und jagen sie andererseits bis gleichzeitig durch jede Art von Verzerrer, die sie finden können, gemäßigt aufgedreht indes. Das ergibt eine vielfältige Songpalette, die „Most Fun“ beinahe wie eine Compilation erscheinen lässt.
Zu Beginn legen die Fuzziliers gleich mal eine falsche Fährte: „CTRL“ beginnt mit einer karibischen Ratsche und marokkanischen Qarqabas und endet mit orientalischen Schlaginstrumenten. Ausflüge nach Süd- bis Mittelamerika oder gleich Ozeanien macht das Quartett so einige, etwa mit Hawaii-Slide-Gitarren in „Liar And Thief“ oder dem schunkeligen „Amsterdam“, dem einzigen Song mit Trompete. Der psychedelische Surf-Moment des Openers bekommt zusätzliches Futter über die Beach-Boys-Harmonien, mit denen der Gesang einen ästhetischen Rückhalt bekommt und den die Band quasi über das gesamte Album hinweg einsetzt. Ebenfalls ins Psychedelische geht der Piano-Boogie des genannten „Liar And Thief“, das im Verlauf mit seiner verspielten Komplexität zaghafte Erinnerungen weckt an „Hole In My Shoe“ von Traffic. Den Boogie nach Art von Status Quo greifen die Fuzziliers in „Amplification“ wieder auf, drücken ihn aber durch ihre Fuzzpedale.
Liegt die Idee von Britpop bereits dem Opener inne, dringt sie in Stücken wie „Future Society“, „In The Morning“ oder „Fake Dancer“, also in der Mitte des Albums, deutlicher hervor. Ersterer Song hat eine dergestalt eingängige Melodie, dass sie einem bereits beim ersten Hören wie altbekannt vorkommt. Letzterer Song bricht seinen Rhythmus wundervoll und lässt die fuzzy Gitarre dazu auch mal gniedeln. Klassischen Indierock ohne Brit-Anleihen gibt es dann noch mit dem Titelstück, das am fettesten aus den Boxen quillt und mit Wah-Wah und „Huh huh“-Chören aufwartet, die an die Stones denken lassen.
Quasi im Zentrum steht „Porcelain“, ein Stück, das so vielseitig ist, dass es allein bereits mehr Ideen bündelt als so manches ganzes Album anderer Leute. Eine sanft verzerrte Gitarre trägt das Stück, ein E-Piano groovt dazu, Chöre begleiten den Gesang, diese Rockmusik ist lieblich, beinahe unschuldig, erinnert an Imperial Teen und endet als Instrumental-Knaller, in dem alle Bandmitglieder mal zum Zug kommen und sich austoben dürfen.
Kein Wunder, denn Sänger und Bandkopf Slava Lobanov (Слава Лобанов) lässt wissen, dass es die Fuzziliers darauf anlegten, ihren Livesound ins Studio zu transportieren. Nach dem Debüt „Sail The Seven Seas“ aus dem Sommer 2024 hatte das Quartett offenkundig hinreichend Gelegenheit, in der türkischen Diaspora näher zusammenzurücken und seine Fähigkeiten aufeinander abzustimmen. Kurioserweise rekrutierte Lobanov, selbst Mitglied des Duos Переучёт mit Rapper Oxxxymiron sowie der Stoner-Doom-Band Juice Oh Yeah, seine Mitmusiker in der Istanbuler Jazz- und Irish-Folk-Punk-Szene. Diese sind: Semyon Fedotov (Schlagzeug und Percussion sowie Harmoniegesang), Misha Paskov (Bass) und Georgy Kopylov (Keyboards und Gesang).
Diese Exil-Platte nun, so informiert Lobanov, reflektiert Liebe, Verlust und hüzün, was ungefähr Traurigkeit heißt und nach seiner Auskunft einen auf den Schriftsteller Orhan Pamuk zurückzuführenden Grundstein der Atmosphäre Istanbuls definiert. Diese Traurigkeit, besser: Melancholie kann man durchaus hören, doch die Fuzziliers nehmen alles auf sich, um sie in Wohlfühlmusik und gute Laune motivierend einzubetten.