Von Matthias Bosenick (24.08.2018)
Die Fortsetzung eines Computerspielsoundtracks stellt das neue Album der kanadischen EBM-Mitgestalter Front Line Assembly dar. Einerseits offenbart „Warmech“ den weiten musikalischen Horizont der Kapelle um Bill Leeb, andererseits variiert es lediglich die Sounds des Vorgängers „Airmech“ und überrascht damit dann doch etwas zu wenig. Ganz nett, chillig, breakbeatig, latent experimentell, aber frei von Lärm, Krach und Noises, die den Gamer beim Zocken stören könnten. Angenehm als Untermalung einer abendlichen Freizeitlektüre, kurz vor dem Schlafengehen; anders als beim Vorgänger sperren sich die Tracks aber trotz aller offenkundiger Qualität etwas dagegen, markant im Ohr zu bleiben.
Wer Front Line Assembly, die sich hier wie weiland auf der „State Of Mind“ von vor 31 Jahren wieder Frontline Assembly schreiben, bereits kennt und für Alben wie „Gashed Senses And Crossfire“, „Caustic Grip“, „Tactical Neural Implant“, „Millennium“ oder liebend gern auch „Improvised Electronic Device“ verehrt, und das zu Recht, mag sich bei Erstkontakt mit „Warmech“, Eigenschreibweise „WarMech“, womöglich die Ohren reiben: Man erkennt die elektronische Schärfe, die in der Musik Bill Leebs steckt, die Akkuratesse, mit der sein Projekt Stimmungen und Atmosphären generiert und diese teilweise mit Beats versetzt, die sofort auf die Beine zielen, aber man vermisst die Brutalität, die sonst in FLAs Tracks liegt.
Das Zwingende in der Beatgestaltung dringt auf „Warmech“ gottlob durch. Wie schon auf „Airmech“ bedienen sich Front Line Assembly hier gelegentlich bei Neunziger-Bigbeats, die sie ansonsten seltener ins eigene Oeuvre überführten. Diese Prodigysierung betreiben nicht einmal mehr The Prodigy so überzeugend. Dennoch eignen sich die entsprechenden Tracks weniger für die Tanzfläche, weil sie mehr auf Epik als auf Eruption zielen. Das gilt auch für die übrigens Stücke: mehr Mitwippen als Abhotten, zwischen Ambient und dezentem Industrial.
Qualitativ lässt sich an „Warmech“ nicht rütteln, Front Line Assembly wissen zu komponieren, zu arrangieren und zu produzieren. Damit heben sie sich von vielen elektronisch orientierten Projekten ab, insbesondere im gruftbezogenen, zumeist plakativen EBM-Bereich der Gegenwart. So darf man „Warmech“, das erste Studioalbum seit „Echoes“ von 2014, als Interimsfingerübung bis zum nächsten Knaller auffassen und genießen. Die Qualität als ausgewiesenen Computerspielesoundtrack hingegen müssen „Warmech“-Zocker beurteilen.
Solche erhalten mit der „Dystopian Future“-Version der Doppel-LP im braungelben Halb-und-halb-Vinyl nicht nur einen Downloadcode für die Musik, sondern auch freischaltbares Bonuszeug für das Spiel. Und eine auf 100 Stück limitierte Vinylversion, die sich auf dem Plattenteller so schick macht wie im Regal.
„Warmech“ stellt überdies das ausgewiesene Vermächtnis von Jeremy Inkel dar, der Anfang 2018 mit nicht einmal 35 Jahren aufgrund von Asthmaproblemen verstarb. Leeb hatte ihn 2005 von dessen Projekt Left Spine Down ins FLA-Universum geholt; seit „Artificial Souldier“ wirkte er daran mit, ebenso an den Nebenprojekten Noise Unit und Delerium. Bandmitgründer Rhys Fulber kehrte zwar kürzlich für seine vierte Saison bei Front Line Assembly zurück, ist an „Warmech“ aber nicht beteiligt. Dafür griff Leeb zusätzlich zu Inkel auf die Unterstützung von Jarred Slingerland (wie Inkel bereits 2005 von Left Spine Down abgeworben), Sasha Keevill (seit 2014 an Bord, arbeitete zuvor mit Inkel unter dem Alias HiJacker als Remix-Duo) und Craig Johnson (altgedienter Studiotüftler mit überraschend vielseitiger Vita) zurück, die allesamt elektronisches Know-How und Programmierungen beisteuerten, sowie Live-Drummer Jason Bazinet, der hier Samples addiert. Das Cover gestaltete Dave McKean, und für ihn allein lohnt sich schon das Googeln. Außerdem sieht die LP einfach schick aus.