Von Matthias Bosenick (15.12.2022)
Endlich neues Material von Front 242! Oder doch nicht: Lediglich eine EP mit Remixen, die allerdings überwiegend von namhaften Leuten, nicht von den üblichen plakativen Stumpfnickeln der „Szene“: Terence Fixmer, The Hacker, Radical G und – als Vertreter des Labels – Kant Kino. Sie bearbeiten Klassiker neu, „No Shuffle“, „Don’t Crash“ und „Take One“, und man feiert natürlich, dass man aus dem Hause der belgischen EBM-Erfinder überhaupt etwas hört, da nimmt man es ihnen nicht übel, dass die Electro-Techno-Neuversionen ganz so besonders eigentlich gar nicht sind. Immerhin senkt das Label Alfa Matrix mit der zweiten Auflage der 12“ die Zweithandpreise der Erstauflage. Die Bandcamp-Bonustracks indes bekommt man nicht mal als Downloadcode dazu.
Zum Auftakt shuffelt Terence Fixmer „No Shuffle“, das man trotzdem noch sehr deutlich mit seinem aggressiven Midtempo wiedererkennt. Im Grunde klart er die Originalsounds auf, poliert sie neu, arbeitet das Kalte und das Treibende heraus, fügt einige Effekte hinzu und belässt das Stück sonst im Minimalismus der 1984er-Originalversion vom Album „No Comment“. Die schneidende Kälte und schier physische Aggressivität, die der französische Techno-DJ ansonsten gern zur Schau stellt, insbesondere im Verbund mit Nitzer-Ebb-Sänger Douglas McCarthy, lässt er hier völlig außen vor, er zerstört den Song nicht, er macht daraus vielmehr eine Art Maxi-Version im Sinne der Achtziger. Auch The Hacker lässt jede Aggressivität in seiner Version von „Don’t Crash“ außen vor, auch er streckt vielmehr die 1985er-Version der EP „Politics Of Pressure“. Wie Fixmer erarbeitete sich auch Michel Amato alias The Hacker einen guten Ruf, weil er als Techno-DJ die Nähe zum EBM suchte und fand. Was er hier ebenfalls gar nicht so intensiv auslebt wie auf seinen eigenen Tracks.
Erst Kant Kino ziehen „Take One“ in eine moderne Richtung, mit einem stumpfen Beat, der aktuell in der EBM-Electro-Szene so beliebt ist und den sie unter die restlichen Tonspuren des Tracks legen. Mit dem norwegischen Duo Kant Kino ist der einzige Act des Labels vertreten, und der Remix klingt auch so: einfach gehalten, stumpf, das Beste liefert bereits das Original der „Endless Riddance“-Single aus dem Jahr 1983, und das behält das Duo in seiner Version einfach bei. Radical G verwurstet ebenfalls „Take One“, der einzige Bearbeiter, der wie die Bearbeiteten aus Belgien kommt. Sein neuer Beat ist sanfter als der der Norweger, seine Version unterfüttert er mit neueren Sequenzen und macht aus dem Song ansonsten wie die beiden Vertreter auf Seite A eher eine verlängerte Maxi-Version, allerdings attraktiv angereichert. Der Flow bleibt erhalten. Ursprünglich erschien diese Version bereits 2015 als Download-Single „Lovely Day (Remastered)“. Für Glenn Keteleer ist dies nicht der erste Ausflug in die EBM-Electro-Remix-Richtung: Er bearbeitete bereits die Lords Of Acid, Psyche, The Neon Judgement und Lederman/de Meyer.
So viel zum Vinyl, auf Bandcamp fügt Alfa Matrix zwei weitere Tracks an: Der erste ist „No Shuffle“ in einer Live-Version von Terence Fixmer, die seinen eigentlichen Stil etwas deutlicher zum Vorschein bringt, indem er dem Stück ab der Hälfte einen stressigeren Melodieton hinzufügt und den Beat etwas aggressiver darunterlegt. Diese treibendere Version hätte gern gegen die von Kant Kino auf dem Vinyl ausgetauscht werden dürfen. Zuletzt gibt’s das „Rewind Medley“, bei dem nicht vermerkt ist, wer es anfertigte; eine Quelle – das Sideline-Magazin – behauptet, der Mix sei ebenfalls von Fixmer, aber es steht zu ahnen, dass es sich dabei um Front 242 selbst handelt, was erklären würde, warum dieses Medley so gelungen ist, es viel besser als bei den Remixern Vergangenheit und Zukunft kombiniert, die Originale erhält und tatsächlich radikal im Sound erneuert; wer etwa Daniel Bressanuttis Soloarbeiten verfolgt, ahnt, dass der Front-242-Soundtüftler nicht dort stehen blieb, wo die Fans Front 242 viel lieber gehabt hätten, als sie es 2003 mit dem bis heute futuristischen „P.U.L.S.E.“ waren, ihrem bislang letzten Studioalbum (und mit dem Doppelschlag „Fuck Up Evil“ und „Evil Off“ zehn Jahre zuvor auch schon).
Anlass für diese Compilation sind zwei Geburtstage: Der 20. des Labels Alfa Matrix und der 40. von Front 242, die aufgrund irgendeiner pandemischen Sache ihre aus diesem Anlass geplante Tour nicht ausrichten konnten und nun – wie so viele Künstler – zu eben diesem Kniff griffen, wie im Jahr zuvor schon mit den diversen veröffentlichten alten Konzertmitschnitten. Das Label brachte die erste Vinyl-Version in blau limitiert auf scherzige 666 Exemplare heraus, die so schnell vergriffen waren, dass sich die Zweitverwerter bereits am Folgetag über den fünffachen Erlös freuten. Jetzt liegt die zweite Version in gelbem Vinyl vor, die den Markt und des Fans Portemonnaie entspannt. Die beiden Bandcamp-Tracks hätte man den Vinyl-Käufern dennoch gern als Download zur Verfügung stellen können.