Von Matthias Bosenick (16.06.2024)
Schon jetzt eines der Top-Alben des Jahres: „Freaks“, lang erwartet von Fly Cat Fly aus Braunschweig, sowieso und weil man einige der neuen Songs schon live ins Herz schließen durfte. Und „Freaks“ hält alle Versprechen. Indierock mit Strukturen jenseits des Gewöhnlichen, melancholisch, kraftvoll, energetisch und nicht selten sogar mit gebremster Aggression. Der zweistimmige Gesang, die hypnotische Vermengung von Gitarre und Bass, die dynamischen Drums, man kann nur niederknien. Und muss aufs Vinyl noch bis September warten!
Das Album beginnt mit einem der besten Songs, den es von Fly Cat Fly gibt, einem Primus inter pares quasi: „Killing Time“ ist elf Minuten lang und war schon live ein Gänsehautgarant. Dabei beginnt es wie „2001: Odyssee im Weltraum“ mit der akustischen Entsprechung zur schwarzen Leinwand, nämlich mit einer Art Stille, die natürlich keine ist, sondern vier Minuten Gitarren-Ambient, aus dem sich der Song erst herausschält. Und das dann mit Emotionen: Erst als freundlicher Rocksong, dann, sobald sich zur Stimme von Cord Bühring auch die von Sina Lempke gesellt und beide ihre Instrumente gesteigert spielen, als schamanischer Trance-Track, mit Anlehnungen an Prog- und Gothic-Rock und doch weitab davon, in Schubladen zu passen.
Insbesondere der zweistimmige Gesang verleiht der Musik von Fly Cat Fly immer wieder eine zusätzliche energetische Ebene. Gleich in „Sick My Dear“ spielt das Duo diese Karte als Trumpf aus, bis es sogar in Geschrei ausbricht – und sofort die Bremse zieht, um den Song reduzierter zum Ende zu bringen. Tempo brauchen die beiden nicht, um mitreißend zu sein, die Rockmusik von Fly Cat Fly kommt bis hierhin auch mit Midtempo aus, eher sogar drunter. So auch jener Song. In „Stone Cold And Tired“ bündeln die beiden ihre Stimmen dann zum Träger des Songs, der sonst auf Akustikgitarre und durch ein Pedal gezogenes Saiteninstrument basiert. Eine klassische Ballade, mag man meinen, doch wie sie die in der Mitte stimmlich steigern, bekommt diese ihre eigene Ausprägung.
Der Song funktionierte ohne Schlagzeug, was einem erst so richtig bewusst wird, wenn es für „The Die Is Cast“ plötzlich etwas beschleunigt wieder auftritt. Zunächst gruppieren Sina und Cord groovend ihr Instrumentarium drumherum, dann steigern sie die Drums sogar noch, was wiederum die Wirkung der anderen Instrumente beeinflusst, abermals schwingen Fly Cat Fly die Energie eines Songs in höhere Sphären und lassen ihn dann milder ausklingen, ohne an Kraft einzubüßen. Im Gegentum: Für „Giving Blood“ steigern sie diese noch, das Tempo zieht an, die Snare geht auf die Eins, und wieder pushen die beiden den Song im Verlauf noch, musikalisch wie stimmlich, bis zu einem weiteren Schrei, es reißt einen vom Hocker. Da muss „Coffee And Bed“ erstmal beim Runterkommen helfen, ein entspannt groovender Kopfnicker von einem Song, der wiederum im Verlauf an Intensität zunimmt. Das Schlagzeug wird wilder, die anderen Instrumente ebenso und der Gesang ausnahmsweise einmal nicht, was die Wucht der Musik nur umso effektvoller hervortreten lässt.
Die Gitarre in „Eight Minute Run“ spielt mit Echos und errichtet eine psychedelische Stoner-Atmosphäre. Doch mit dem Duett-Gesang und dem sich allmählich einschleichenden dumpf pochenden Beat bekommt das Stück eine leichte Blues-Schlagseite – bis es dann ausbricht, das Schlagzeug ungedämpft hinzutritt, alles mehr Power bekommt und das Stück wie eine schleppend verlaufende Eruption einen alles niederdrückenden Lavastrom ausgießt. Dem muss einfach Besinnung folgen: Das Titellied ist ein introvertiertes Zwischenstück, zur Akustikgitarre vorgetragen, melancholisch und in seiner Zerbrechlichkeit ausdrucksstark. Mit „Feed The Wolves“ kehren Fly Cat Fly zum Groove zurück, dieses ist das wohl poppigste Stück auf dem Album, wenn man von Pop überhaupt sprechen mag; hier überwiegen Harmonien, die unterschwellige Aggression bleibt außen vor, der Song hat insgesamt etwas Waviges, und Fly Cat Fly verraten sich damit nicht, wenn die einmal so klingen wie hier, das passt perfekt ins Album, es setzt eine eigene Fassette.
Mit „Here To Tell You“ legen Fly Cat Fly eine falsche Fährte, der Song beginnt wie „Freaks“ als Akustikgitarrenballade, aber er fadet kurz vor Schluss in einen treibenden Indierocksong mit Drones und Samples über, der es trotzdem nicht an Harmonie fehlen lässt. Wie sie das nur immer hinbekommen! Und zum Schluss gibt’s mit „Cat Pictures“, hier in einer neu abgemischten Variante des Stückes, das Fly Cat Fly 2022 für die Ukraine-Benefiz-Compilation „нашим друзям – For Our Friends“ angefertigt hatten, nochmal einen Höhepunkt: Bassiges Uptempo-Schlagzeug, wuchtige Gitarren und Bässe, beide gebremst, wie unterdrückt, als wären die Melodien des Gesangs wichtiger als die instrumentalen, und das sind sie auch, Cord und Sina können singen, sie passen zusammen wie der Regler auf die 11, wo er hier und jetzt nicht stehen muss, um Energien freizusetzen. Der Song treibt mit Riffs und Drums, eingestreute Ziselierungen strukturieren ihn, ohne von der Richtung abzulenken, denn die geht voran, immer voran, weiter und weiter. Da ist es nur folgerichtig, den Song einfach abbrechen zu lassen, schließlich ist Vinyl endlich, im Herzen geht der Song aber ewig weiter. Oder man dreht das Vinyl einfach um und hört „Freaks“ von vorn, am Schluss kommt er ja nochmal.
Bei Fly Cat Fly begeistert immer so einiges, und zusätzlich zum ganzen Genannten ist es der Umstand, dass die aus nur zwei Menschen bestehende Band Mucke macht wie mindestens ein Quartett. Und das auch live. Dafür loopen Sina und Cord selbst eingespielte Drums oder programmieren auch mal welche, und nie klingt es nach unechtem Schlagzeuger, nie geht Dynamik verloren, im Gegenteil, die holen das Höchstmaß an Dynamik aus dem Instrument heraus, jeweils passend zu den Songs. „Freaks“ ist das dritte Album von Fly Cat Fly in über zehn Jahren: „Pocketful Of Pain“ erschien 2015 noch als Trio, nach dem Ausstieg des Schlagzeugers spielten sie „Let’s Hear It For The Chosen“ 2019 erstmals als das Duo ein, für das sie seitdem beliebt sind. 2020 bündelten sie B-Seiten und Akustikversionen auf „No Fame No Glory“, und nun fügen sie eben mit „Freaks“ ihrer grandiosen Diskografie einen weiteren Edelstein hinzu. Und das Cover ist auch wieder geil.