Von Matthias Bosenick (21.08.2025)
Wenn ein Album gleich mit einem Ohrwurm beginnt, ist das schon mal ein gutes Zeichen, und wenn sich diese Ohrwurmhaftigkeit über die Spielzeit häuft, ein umso besseres – und das bei einem Album, das bei aller Lieblichkeit auch noch leicht sperrig ist, zumindest hintergründig. Hört man sich die fragilen Folkweisen der Faun Fables an, mag man sich kaum ausmalen, dass diese Familie in anderen Zusammenstellungen den größtmöglich brutalen Lärm zu machen in der Lage ist, als Sleepytime Gorilla Museum etwa. Das siebte Album „Counterclockwise“ ist das erste von Faun Fables nach neun Jahren Unterbrechung.
So geil: „The Wedding“ startet mit einem einnehmenden Chant, der sofort ins Ohr geht und es sich dort gemütlich macht. Dieser Chant ist so schön, dass einem kaum auffällt, dass sich die Gitarrenakkorde dahinter gar nicht verändern – alles bleibt bei einem Ton, fast wie in einer milden Variante der Swans. Ein hypnotischer Einstand, der schon mal andeutet, wohin die Reise der folgenden fast 70 Minuten so geht.
Mehrstimmiger Gesang, loopartige Melodiefragmente, liebliche Instrumentierungen, selten überhaupt perkussive Elemente, eine retroselige Darbietung wie aus den Sechzigern zwischen Haight-Ashbury und British Folk, partiell neo-mittelalterlich, latent entrückt, mit dunkel-melancholischer Fröhlichkeit unterfüttert und deutlich kraftvoller, als es oberflächlich zu sein scheint. Neben den genannten Akustikgitarren, dem dezenten Schlagzeug und einem Bass gehören Flöten, Tamburin, Glockenspiel, Harmonium, Posaune und Tenorsaxophon zum Arsenal, und alles, was nach Kinderstimme klingt, ist auch Kinderstimme, denn von den drei Töchtern, die das Chef-Paar hier erstmals ausgiebig einspannt, ist eine noch minderjährig.
Da wundert es schon beinahe, wenn sich musikalisch auch textlich einige Dunkelheiten in das Album einschleichen. Zentral steht hier „Black Angels (Czarne anioły)“, im Original 1967 von Ewa Demarczyk aus Krakau auf ihrem Album auf „Śpiewa Piosenki Zygmunta Koniecznego“ dargeboten, ein düsteres, depressives Stück, das in den vordergründig beschwingten Reigen gar nicht passen mag, aber wir sind hier ja bei den Faun Fables, da gehört so etwas eben dazu.
Jener Song ist überdies ein Beispiel für eine Reihe an übernommenen Traditionals und Märchen aus allen Weltengegenden, aus Irland, Schweden, Russland (die Werwolf-Geschichte in „Fearful Name“) oder von indigenen Nordamerikanern, sowie Coverversionen. Darunter sind einige, die man so gar nicht erwartet: „Black Diamond“ ist von den Bee Gees, von deren 1969er Album „Odessa“. Nils Frykdahl singt hier mit einem Tremolo wie ein zerbrochener David Bowie, während seine Gattin Dawn McCarthy und die gemeinsamen Töchter Edda, Ura und Gudrin den Pop-Anteil des Songs hervorheben. Ebenso eindrucksvoll ist „Wonderous Stories“ geraten, im Original von Yes, 1977 auf „Going For The One“ veröffentlicht: Was für ein kraftvoller Refrain, der Song fügt sich hier in den Folk-Reigen perfekt ein. Ebenfalls gecovert ist „Maybe“, und zwar bei Thom Pace von dessen gleichnamigem 1980er Album 1980, ein Country-Song, und Country ist ja auch Folk. Die Faun Fables machen daraus beinahe ein Kinderlied, mit einem Seitenblick auf „Country Roads“ von John Denver.
Weitere externe Beiträge finden sich: Ein A-Capella-Stück ist „Lullaby“, komponiert von Millie Rieth, und „Hiawatha“ entstand nach einem Text von Henry Wadsworth Longfellow. Das Stück ist mittendrin der wildeste Song mit einer turbulenten Percussion und ist überhaupt sehr abwechslungsreich, mitkomponiert überdies vom norwegischen Gitarristen Arild Hammerø, der auch an anderen Songs seine Hand im Spiel hatte. Was Wunder: Dieses Lied sowie „Sugar Camp“ und das Quasi-Titellied „Widdershins“ erschienen bereits vor drei Jahren auf dem Download-Album „Live In Norway“; ebenfalls bereits veröffentlicht ist „Elfrida“, nämlich 2021 als Flexi-Disc. Zurück zu „Widdershins“: Das Titelthema bekommt kurz vor Schluss eine Reprise, nämlich mit „Joy Of Counterclockwise“, einem energiereichen, lebendigen, kraftvollen Song, der die Hörerschaft aus der melancholischen Besinnlichkeit emporhebt, die sich zwischenzeitig einstellt.
Auf diesem siebten Studioalbum der Faun Fables präsentiert sich das Projekt als geschlossene Einheit, an der bis auf Hammerø keine Gäste beteiligt sind, sondern vielmehr ausschließlich Familienmitglieder. Das war bis dato noch nicht so, auch das Vorgängeralbum „Born Of The Sun“ entstand 2016 noch unter personell offeneren Bedingungen. Doch auch dem neuen Album hört man an, dass der Kopf der Band Dawn McCarthy ist; Gatte Nils Frykdahl nimmt eine untergeordnete Rolle ein, die Stimmen sind vornehmlich weiblich, die Kompositionen gehen vorwiegend auf McCarthys Kappe, und Frykdahl versucht gottlob auch erst gar nicht, sich in den Vordergrund zu mogeln, obschon er seit programmatisch betitelten „Family Album“ 2004 fester Bestandteil der Band ist. „Counterclockwise“ ist so lang geraten, das es als Doppel-LP veröffentlicht werden musste. Aber nicht gegen den Uhrzeigersinn abspielen!