Fabio Cuomo, Morgengruss, Vanessa van Basten, Vivienne The Witch und Ramachandran – Taxi Driver Records 2016

Von Matthias Bosenick (04.02.2016)

 

Das feine Label Taxi Driver Records aus Genua startet eine unerwartete Veröffentlichungswelle: Gleich ein halbes Dutzend Alben und EPs sind im Januar erschienen. Die Stilpalette ist so weit wie die des eigenen Plattenladens: Doom, Rock, Psychedelic, Indierock, Ambient, Post-Irgendwas – Hauptsache progressiv. Ein kleiner Überblick.

Fabio Cuomo – La deriva del tutto

Zurück in die Siebziger, in allen Belangen: Zwei Tracks, jeweils knapp 18 Minuten lang, sind auf dieser LP enthalten. Die Reise startet mit ambientalem Gedröhn, hervorgerufen mit kratzenden Saiteninstrumenten. Es dauert diverse Minuten, bis ein Chor einsetzt, und fast den halben Track, bis sich ein Song herausschält, mit Piano und balladeskem Bass. Ein Gitarrendrone beendet die erste Seite. Dunkel wispernd beginnt die zweite, in einen flirrenden schweren Krautrock übergehend, der über die Brücke weiterer Drones in eine ähnlichen Pianopassage mündet wie die erste Seite. Diese beschließt ein beinahe moderner Postrock. Trotz nicht unbedingt überwiegender fröhlicher Stimmung ist „Da deriva del tutto“ nicht deprimierend düster, sondern bietet gleichsam Möglichkeit zur Kontemplation und zur akustischen Erkundung. Wer sich gelegentlich in italienischen Nischenplattenläden umsieht, erfährt, dass diese Art der Komposition in psychedelischen Kreisen gern mal genommen wird; Paul Chain („Cosmic Wind“ auf Beard Of Stars Records) und The Grand Astoria („The Mighty Few“ auf Vincebus Eruptum Records) etwa lieferten auch schon Alben mit zwei überlangen Tracks ab. Wie weiland die Progrocker. Cuomo ist ansonsten Schlagzeuger bei Eremite und Mope, deren Debütalbum es in des Rezensenten Jahresbestenliste 2014 schaffte.

Morgengruss – Morgengruss

Wenn das der Morgengruß ist, möchte man sich lieber umdrehen und weiterschlafen. Die Musik dieser LP dient eher zur unterschwellig gruseligen Abenduntermalung als dazu, frisch in den Tag zu starten. Das ist keine Abwertung: Was Marco Paddeu, Mitglied bei Demetra Sine Die und Sepvlcrvm, auf seinem Solodebüt zaubert, ist sehr wohl feiner Stoff, aber eben nicht so lieblich, wie es der Name andeutet. Paddeu liebt es entschleunigt, er legt mit einem bemurmelten Dronestück los. Sobald die freigelassene Trompete zur Akustikgitarre herumschwirrt und Paddeu weiter grummelt, fühlt man sich (musikalisch, nicht inhaltlich) an die nationalsatanistischen Auswüchse des Neofolk erinnert. Die Stimme wiederum ähnelt eher der von Leuten wie Michael Gira oder entfernt auch Mark Lanegan. Je weiter das Album voranschreitet, desto weniger Songstruktur bietet es an. Aus Drones werden Atmosphären, aus Folkjazz wird Ambient. Man fühlt sich wahrhaftig eher in den Schlaf geleitet als in den nächsten Tag. Unangenehm wird einem eine derart beschallte Nacht aber nicht, richtiger Horror klingt dann doch wieder anders. Auch hier ist übrigens jemand von Mope zu Gast, Sara Twinn nämlich, außerdem Enrico Tauraso von Elephant.

Vanessa van Basten – La stanza di Swedenborg

Der Projektname ist so irreführend wie der von Alice Cooper, Marilyn Manson oder Viktor Laszlo: Vanessa van Bastens einziges Mitglied ist nämlich ein Mann, und der heißt Stefano Parodi. Bei „La stanza di Swedenborg“ handelt es sich um eines von zwei Rereleases im Januar auf Taxi Driver (das andere ist „Black Magic Man“ von Psychedelic Witchcraft), das 35-minütige Album ist bereits zehn Jahre alt. Abgesehen von einer EP, auf der er sich 2015 musikalisch mit dem Album „Disintegration“ von The Cure auseinandersetzt, legte Parodi das Projekt auf Eis, um als festes Mitglied von – natürlich – Mope weiterzumachen. Den titelgebenden „Swedenborg-Raum“ kennen Lars-von-Trier-Fans aus dessen TV-Serie „Geister“ (bzw. „Riget“ oder „The Kingdom“); in dem halten sich Seelen zwischen Tod und weiterer Verteilung im Jenseits auf. Der sicherlich nicht unbekiffte Parodi ufert hier ordentlich aus, mit tiefergestimmten Gitarren, aber ohne so richtig heavy zu werden. Das verhindert zum Teil auch die etwas flache Produktion. Vielleicht ist es aber auch Absicht, um sich abzuheben von anderen Stoner-, Doom- und anderen Post-Metal- oder -Rock-Vertretern. Hier zumindest erklingen auch mal Slidegitarre und Mundharmonika, das ist wirklich eher unüblich in dieser Schublade. Der Rest ist vertraut, kratzende Drone-Gitarren, klirrende Industrial-Schlagwerke, darüber herrlich schöne Melodien, gelegentlich anziehendes Tempo. Dem Trip schließt man sich gern mal an. Muss aber auch nicht ständig sein.

Vivienne The Witch – Shadowbox

Ungewöhnlich indierockig erklingen Vivienne The Witch für Taxi-Driver-Verhältnisse. Auf ihrer Debüt-CD „Shadowbox“ verhehlen die drei jungen Frauen Lucrezia Peppicelli sowie Greta und Caterina Fuso nicht, dass sie auf Neunziger-Hüpferock und Grunge stehen. Sicherlich fallen einem als erstes Riot-Grrrl-Bands wie L7, Babes In Toyland oder meinethalben auch Hole ein, wenn man das knapp halbstündige Album einlegt. Die Rhythmen sind typisch für die Neunziger, so legten schon die Pixies vor, so führten es The Breeders fort und so kultivierten es zahllose Indie-Rock-Bands danach. Den Bluesrock können sie auch, ebenso „Pussy“ schreien und sich für feministisch halten. Dabei sind Vivienne The Witch vermutlich meilenweit entfernt von Sleater-Kinney, Bikini Kill oder Wild Flag. Was sie machen, machen Vivienne The Witch ganz gut – aber so richtig Wertvolles fügen sie der Musikgeschichte nicht hinzu. Sie sind vortreffliche Epigonen, brauchen aber noch ganz dringend eine eigene Seele.

Ramachandran – Marshmallow

Die Debüt-LP von Ramachandran ist nur eine halbe, 22 Minuten lang ist sie nämlich. Aber was für eine. Die drei Frauen aus der Toscana rumpeln garagenpunkig, wuchtig und schnell. Definitiv hatten sie eine Menge Spaß dabei, ihre natürlichen Aggressionen in Vinyl zu gießen. Keine Scheu vor Dreck, keine vor charakterstarken Vorbildern, keine vor Genregrenzen, keine vor Grooves und Tempo, keine vor atmosphärischen Minizwischenspielen. Zu dritt so einen Lärm zu machen, das verdient schon mal Hochachtung. Und dann auch noch so überzeugend zusammengefügt. Ein schöner Abschluss für den Januar aus dem Hause Taxi Driver Records.