Von Matthias Bosenick (20.09.2020)
Wenn zwei Leute, die etwas können, aufeinandertreffen und mit ihren Instrumenten aus dem Stegreif improvisieren und wenn dann das, was dabei herauskommt, nun: komponierter klingt als so manche Komposition, dann muss man es offenkundig mit hochgradig grandiosen Musikern zu tun haben. Bassist Esat Ekincioğlu und Schlagzeuger Berke Can Özcan trafen 2019 in Istanbul aufeinander und schnitten ihre musikalische Begegnung einfach mal mit. Auf „Lover And Beloved“ dokumentieren sie eine hell lodernde Liebesbeziehung, die vom Flirt über Liebe und Betrug bis zur Trauer reicht, mit dröhnendem Bass und scheppernden Schlagzeug. Unter anderem.
Istanbul als Ort der Begegnung lässt sich nur zum Auftakt heraushören, wenn Ekincioğlu seinem Bass orientalisch anmutende Melodien entlockt. Doch schon bald endet jede Analogie, die Musik wird frei. Und die Instrumente werden weniger eindeutig erkennbar: Sobald Ekincioğlu etwa den Bogen über seine vier Saiten flirren lässt, ist man gewillt, an ein obskures Blasinstrument zu glauben; allein, man muss sich wohl irren, denn in den Credits stehen nur der Bass und das Schlagzeug, nebst „anderen Objekten“, die auf das Konto von Özcan gehen, der neben seinem Drumkit noch allerlei Schepperdinge mit sich führt. Mit denen er indes behutsam umgeht; er setzt sie lediglich punktuell und dann stets überraschend ein, zuvorderst generiert er mit wechselnden Schlagzeugfiguren wechselnde Emotionen, die Ekincioğlu mit dem Bass befeuert. Nach über einer halben Stunde plötzlich: Steeldrums, so scheint es, vermutlich aber eher Hangdrums, zu denen sich alsbald der manipulierte Bass als spookiger Geräuschelieferant gesellt. Ist das dazu eine Fahrradklingel, sind das andere Kronkorken?
Auch wenn Melodie und Struktur der vier Stücke frei sind, die Rhythmen sind es nicht, die folgen einem Takt und erzeugen damit eine grundlegende Normalität, die es dem Hörer unglaublich erscheinen lässt, dass das alles improvisiert sein soll, und zugleich den Zugang zu diesem Werk erleichtert. Leicht indes ist es nicht, keine einfache Musik, aufgrund ihrer emotionalen Wechsel, der Melodielosigkeit, der teilweise harschen Sounds und der ebenso teilweisen bedrückenden Zurückhaltung. Wunderte man sich zunächst, wie üppig eine von nur zwei Leuten generierte Musik sein kann, sieht man sich bald einer verstörenden Kargheit ausgesetzt.
Dunkelheit schließt das Album, und trotzdem fasst man es als Genuss auf, wenn man sich auf derart offene Strukturen einlassen kann. Was Wunder, wenn man es mit zwei solchen Meistern zu tun hat. Özcan nutzt in seiner Freizeit so ziemlich alles als Schlagzeug, das ihm unter die Sticks kommt, sei es solo oder bei seinen (früheren) Bands Big Beats Big Times, Tamburada, 123, DANdadaDAN, Birds Ensemble, Sundowner, Marika, Great Republic Of South oder Konstrukt. Und Ekincioğlu ist derzeit von Groningen aus mit AVA Trio und Kuhn Fu weltweit auf Jazzbühnen aktiv. Ein Glücksfall, dass sie sich begegneten und ihr jeweiliges Arsenal zufällig dabei hatten. „Lover And Beloved“ ist eine mitreißende Reise durch die turbulente Gefühlswelt von Liebe und Betrug und von den akustischen Möglichkeiten, die solch vermeintlich vertraute Instrumente wie Schlagzeug und Bass so bereithalten.