Einstürzende Neubauten – Rampen (APM: Alien Pop Music) – Potomak 2024

Von Matthias Bosenick (06.05.2024)

„Wie lange noch?“, fragt Blixa Bargeld zu Beginn, und man kann nach diesem Doppel-Album, das auch auf nur eine CD gepasst hätte, nur hoffen, dass die Antwort irgendwas Zustimmendes mit „sehr“ beinhaltet. Man kann das neue Album „Rampen (apm: alien pop music)“ auf zwei Arten hören: mit und ohne Hintergrundwissen, und beide Möglichkeiten öffnen Augen und Ohren. Denn bei den „Rampen“ handelt es sich um eine auf Improvisation fußende Kompositionsvariante der Einstürzenden Neubauten, mit der sämtliche 15 Tracks entstanden sind – die indes auch ohne dieses Wissen als großartige Musik beeindrucken. Wer kann, der kann.

Ja, die Neubauten haben sich verändert, seit sie 1980 in Berlin mit lärmender Schrottmusik auf den Plan traten, und nein, sie sind heute trotzdem keine andere Band als damals, die nur mehr dem Feuilleton gefallen will – „Silence Is Sexy“, und die Stille der Neubauten birgt noch mehr als hinreichend Unbequemlichkeiten, die wahrnehmen lassen, dass da Leute am Handwerk sind, die unangepasst ihre Sache umsetzen, und unangepasst berührt hier wiederum nicht nur das finanzkräftige Elbphilharmonie-Publikum, sondern auch die Altfans, die mit der Ruhigwerdung ihrer Experimental-Krach-Helden unzufrieden sind. Die vorliegenden „Rampen“ bedienen indes beide Seiten des Publikums, und „Besser isses“.

Ein nicht geringer Teil der Songs erfüllt die in den Neunzigern in den Sound ergänzte Richtung der Stille, die Neubauten generieren eine fragile Tiefe, der man sich bewusst hingeben muss, die zum genaueren Hinhören herausfordert. Die Band bringt noch genug aufregende Details auch in den reduzierten Songs unter, auf die sie wohl ohne die Erfahrung mit der Improvisation, mit dem Arrangieren von Fundstücken, mit der akustischen Brachialität gar nicht hätten kommen können. Wenn dabei dann eine Musik herauskommt, die man mit Fug und Recht als schön bezeichnen kann, ist das kein Widerspruch zum lärmenden Beginn der Karriere – sondern eine konsequente Fortentwicklung, die einen banalen Stillstand vermeidet. Kann man mitgehen, muss man nicht, „Es könnte sein“, lohnt sich aber, denn so kommen die zauberhaften Gitarrenfiguren, die dem französischen Chanson der Sechziger entliehenen Bassgrooves und die sakralen Chorgesänge erst richtig zur Geltung. „Isso isso“!

Äh, ja: So etwas gibt’s bei den Neubauten zu hören, und eigentlich ja nicht erst auf den „Rampen“, mit solcherlei Sounds spielen die Berliner ja schon länger herum, eignen es sich an und machen es sich eigen. Heißt: Wer der Band auch seit sagen wir „Ende neu“ 1996 treu geblieben ist, findet sich auf „Rampen“ mit Leichtigkeit zurecht. À propos, das neue „Ist ist“ schließt vom Titel her nahezu direkt an den Song „Was ist ist“ vom nämlichen Album an. Überhaupt bekommt man hier viele vertraute Signatursounds dargeboten, beginnend beim hohen Kreischen von Blixa Bargeld oder dessen limitierte Melodievielfalt; zwischen Erzählen und Zweitonmelodien finden sich seit Jahren kaum Erweiterungen, egal, ob bei den Neubauten, mit Teho Teardo oder sonstwie solo, aber das steckt man so ein, man hört ihm ja gern zu, auch deshalb, weil man gelernt hat, dass die Neubauten nicht nur für Dekonstruktion stehen, sondern diese gelegentlich mit Humor begleiten. Alles andere ist dann eben Rumpeln und Ramentern, Scheppern und Klickern, wie man es von den Neubauten kennt, nur mit mehr Struktur als anno dunnemals, also hörbarer und trotzdem Industrial, immer noch Lärm genug für sowohl Zartbesaitete als auch für im Punk Gereifte.

Wie es dazu kam, dass das Album so klingt, wie es klingt, verrät Bargeld in diversen Interviews. „Ick wees nich (Noch nich)“, aber bald: Auf ihrer Tour vor zwei Jahren improvisierte die Band live herum und nahm diese experimentellen Schnipsel als Grundlage für das vorliegende Album; für diese Live-Impros verwendet die Band selbst intern den Begriff „Rampen“ und baut sie gern in ihre Sets ein, jetzt also macht sie einmal mehr draus. Man kann es als erfrischend auffassen, dass die Neubauten in der Mitte ihres fünften Jahrzehnts noch mit neuen Herangehensweisen aufwartet – wenn das Ergebnis auch noch so großartig ist wie das vorliegende Album, kann man darauf bauen, dass die fünf Musiker über die Jahre ordentlich was an Fähigkeiten aus dem Schrott gezimmert haben.