Von Guido Dörheide (17.04.2022)
Diese Arbeit ist ein Fest für den Rezensenten: Außer eine Viertelstunde lang zu beteuern, wie grandios sich dieses Album anhört, und ein wenig Namedropping gehobenerer Klasse zu betreiben, habe ich nichts zu tun, und dazu läuft im Hintergrund härteste Bluesmusik der Extraklasse.
Neben Stevie Ray Vaughan ist Johnny Winter mein allerliebster weißer Bluesgitarrist (Ja. Ich weiß. Das hört sich an, als müsse man tot sein, um in meine persönliche Hall of Fame aufgenommen zu werden, aber ich beteuere – es ist nicht so, wie es aussieht! Zufall, das!). Schon bei Winters Originalalben fand ich immer: Der Typ klingt HART, es kreischt, quietscht, niemals gibt er Ruhe, bevor er nicht aus jeder Komposition – egal ob von den Großen seiner Berufsgruppe gecovert oder selbst geschrieben – das absolut allerletzte herausgequetscht und sich dabei komplett verausgabt hat.
Diesen Geist betreibt sein kleiner Bruder Edgar jetzt weiter und versichert sich dabei einer ganzen Garde von Instrumentalvirtuosen, die ihm helfen, dem unsterblichen Geist seines großen Bruders ein weiteres vollkommen verdientes Denkmal zu setzen. Der große Joe Bonamassa ist gleich auf drei Songs vertreten, aber dabei ist es nicht genug – der unlängst verstorbene Taylor Hawkins ist mit dabei, Keb‘ Mo‘ und – kein Geringerer als Totos Steve Lukather (laut Eddie van Halen der größte noch lebende Rockgitarrist).
Hängen geblieben bin ich bei „I‘m Yours And I‘m Hers“ – immer schon im Winterschen Original einer meiner Favoriten – und was macht Edgar? Der geht bei und lässt Billy F. Gibbons und Derek Trucks auf den Track los – ersterer nicht nur einer der unsterblichsten, langbärtigsten, alles an die Wand spielenden, texanischsten kontemporären Bluesgitarristen aller Zeiten, sondern auch noch ein Sänger der Extraklasse; und zweiterer wohl einer der exquisitesten jungen (ich darf das hoffentlich sagen, er ist über sechs Jahre jünger als ich) Bluesgitarristen, der sowohl mit seiner schöneren und kaum mindertalentierteren zweiten Hälfte Susan Tedeschi ein wundervolles Album nach dem anderen raushaut (die haben neulich das komplette Album von Derek & The Dominos nachgespielt und mich damit vor Ehrfurcht in die Knie gezwungen) als auch die Band seines Onkels Butch in ganz hervorragender Art und Weise am Leben hält – Hammer, was die beiden aus dem Song machen. Und es geht auf diesem Album immer weiter und weiter:
Z.B. mit Highway 61 revisited: Dieser Song ist schon im Dylanschen Original eine atemlose Schussfahrt ins Tal, wenngleich auch ohne Jagertee beim Après Schi – ein gravierender Unterschied zum Original ist dennoch auszumachen: Ein Robert Allan Zimmerman schwitzt nicht bei der Arbeit, Kenny Wayne Shepherd schon und wird damit dem atemberaubenden Geschredder der Gitarre mehr als gerecht.
Die hier dargebotene Version von „Jumpin‘ Jack Flash“ is really a gas und lässt die Original-Urheber des Songs aussehen wie eine Bande blasser Oberprimaner, die versuchen, wie die Stones zu klingen. Verdammte Scheiße – warum verschwendet Phil X sein Talent bei Bon Jovi??!?
Und wie heißt nochmal das beste Blues-Stück aller verdammten Zeiten? Rööchtöööch – „Got My Mojo Working“ von Muddy Waters. Diesem Teil setzen Winter der Jüngere und Bobby Rush hier ein Denkmal der Sonderklasse – das kratzt, knirscht, soliert und geht nach vorne los, dass es nur so splattatert. Genau soo muss zeitgenössischer Bluesrock.
Edgar Winter covert somit nicht nur die Songs seines großen Bruders, sondern auch noch die Klassiker, die dieser coverte, und betritt somit die Meta-Ebene des Blues. Ich habe ja ein ziemlich vom 80er-Jahre-Kindergottesdienst und dem Selfmade-Folklore-Religionssubstitut meiner wunderbaren Frau Mutter geprägtes Bild vom Jenseits und denke mir, dass Johnny irgendwo auf einer Wolke in Form einer Gibson Firebird V sitzt, die schlohweißen Haare schüttelt und denkt: „Jau! Passt!“ Johnny Winter hatte weder ein langes, noch ein glückliches, noch ein gesundes Leben – aber diese in jeder Hinsicht gelungene Hommage an sein musikalisches Werk macht beim Hören glücklich ohne Ende.