Von Matthias
Bosenick (06.05.2020)
Die Samplerreihe zur Partyreihe, mit
autobiografischen Kriterien zusammengestellt von DJ Cramér alias
René Seim aus Dresden: Der „Wildblumenblues“ bietet auf zwei CDs
oder LPs genau das, nämlich eine wild blühende Variante des Blues,
der von der Garage über Country, Rock’n’Roll, No Wave,
Psychedelic Rock, Stoner und Experiment bis zum Surpfunk reicht. Und
weil Seim so gern Freunde unterstützt, legte er auch die
Covergestaltung in ihm vertraute Hände. Seine eigene Band Todi
versteckt er außerdem in dieser Sammlung. Macht mächtig Laune –
und Neugier auf die dazugehörige Party in Dresden.
Für gute Musik sind keine berühmten Namen erforderlich, der Untergrund ist keine Marke – das weiß Seim, und deshalb fördert er auch lieber diejenigen, die seinem eigenen Geschmack entsprechen, als die, die bereits erfolgreich sind. Unangepasst heißt nicht automatisch unhörbar, das lernt die Mehrheit wohl nie mehr, aber die Offenen weiden sich an dem, was der Herr Cramér hier kredenzt. So mancher vertraute Bandname erscheint dann doch in der Liste, aber doch nur von den Randbereichen der allgemeinen Bekanntheit, wie Lombego Surfers aus Basel oder Duesenjaeger aus Osnabrück.
Also nicht nur Dresden und Umgebung, aber gerade dort erschnüffelt sich der DJ die Trüffel. Im ersten Teil steht hinter mehr als der Hälfte der aufgeführten Teilnehmer „Dresden“ als Herkunftsbenennung in Klammern; ein Service, der dem zweiten Teil leider fehlt, aber andererseits konzentriert man sich dann eben auf andere Aspekte. Dennoch, gerade der Lokalbezug macht es spannend, vielleicht weniger für Dresdner, die die Bands schon mannigfach live erlebt haben mögen, als für Nichtdresdner, die mittels dieser Sammlung auf Erkundungstour gehen.
Mit starkem Punkodeur (Duesenjaeger) eröffnet der erste Teil, doch ab dem vierten Song (von Trieblaut) nimmt die Garage das Zepter in die Hand, um in den schrammeligen Lofi-Blues (Martial Arts Niggers) überzuleiten. Von dort geht‘s bequem zum No-Wave-versetzten Surfpunk (Purple Dawn). Selbst für radiotauglichen Alternativerock (Goldner Anker) ist Platz, aber für einen, dessen Soundgewand nicht glattpoliert ist, der also das Alternative noch im Sinne der Erfinder transportiert, ohne auf Melodien verzichten zu müssen. Mit gelangweiltem Singer-Songwriter-Geschrammel (Two Laughing Idiots) gibt es den ersten Bruch, um den Weg zum gutgelaunten kiffertauglichen Beatlesblues (The Roaring 420s) einzuschlagen, der direkt zu einem anderen Abusus führt, zum Alkohol nämlich (Oscott, Todi). Aber der nächste Garagenpunk (The Grizzly Adams Band) rüttelt die Lebensgeister schon wieder auf, bis sie zuletzt ins Delirium verschwurbelt werden (Mickey Brumaire).
Teil Zwei beginnt mit einer Surf-Sitar mit Orgel (The Roaring 420s). Weiter geht es mit Disco-Blues-Punk (Jack Oblivian), Countrypunk (Live From Las Vegas), zerstörtem Bluesrock (Nomad Riders), Surftwangboogie (Sex Gods), Surfpunk (Lombego Surfers), Beatles-Versponnenheit (Mickey Brumaire), schönem Alt.-Country-Indierock (Lasse Reinstroem) bis zum schrammeligen Noisefinale (The Damnation Kids). In Summe nimmt sich der zweite Teil mehr Ruhe, er braucht länger, um Fahrt aufzunehmen, und kehrt dann schneller auch wieder zur Ruhe zurück; er ist damit mehr fürs Zuhausehören als für die Tanzparty geeignet. In seiner Versponnenheit birgt natürlich auch dieser Sampler glitzernde Schätze.
Zur Qualität, ob musikalischer oder tontechnischer, gibt es hier keine Zweifel: Dem gelegentlichen Rumpeln liegt etwas Gewolltes inne, damit ist es legitim und also Kunst. Ohrwürmer und Eingängigkeiten sind möglicherweise nicht immer beabsichtigt, aber wenn sie auftreten, dann gern gehört. Der ersten Ausgabe liegt überdies mit „Der Pogo“ eine Kurzgeschichte von Martin Zerrenner bei; das Cover malte Franziska Hesse, das für den zweiten Teil Danny Linwerk.
Ausstehend ist laut Label-Webseite „Get Your Head Perfumed“, also quasi der dritte Teil der Reihe. So schreibt es der Zusammensteller Seim, der auch der Labelbetreiber ist. Außerdem Poet („Mach dich hübsch, spring ins All und komm am Sonntag wieder“) und Verleger (Windlustverlag). Einige Bookletfotos stammen auch noch von ihm. Was kann der Mann eigentlich nicht?!
headlust.de