Dirk Serries – Treasure Of Stars (Streams Of Consciousness) – Projekt Records 2025

Von Matthias Bosenick (03.03.2025)

Im Rahmen seiner Reihe „Streams Of Consciousness“ entführt der Antwerpener Ambient-Gitarrist Dirk Serries mit „Treasure Of Stars“ dieses Mal an den Strand, ins All, unter Wasser und auf hohe See, alles allein mit der Gitarre und einigen Effektgeräten generiert, alles unendlich langsam und alles unendlich schön. Serries nahm dieses Album solo und am Stück für das Label Projekt Records auf. Eine wärmende Flucht aus dem Alltag.

Die Anwesenheit am Strand allein betäubt bereits. Die Sonne geht unter, blutrot, ewig, unendlich lang andauernd. Die Wellen bewegen sich im gleichen Tempo, wie eine massive Masse, die draußen, jenseits des Strandes, in eine endlose Bewegung gerät, eine Masse, deren Absicht es gar nicht ist, an den Strand auszurollen, sondern die schlichtweg hin und her wogt, extremst verlangsamt. Einige Surfer sind bereit, sich dieser Bewegung auszusetzen, sie verharren auf ihren Boards auf diesen Wogen und zelebrieren die Langsamkeit. Möwen und Pelikane stehen in der Abendluft, deren Hitze nur allmählich abnimmt, gesättigt, allein zur inneren Freude zu so etwas wie einer Levitation aufgebrochen. Der eigene Atem passt sich der Langsamkeit an, man ist komplett heruntergefahren, blickt aufs Meer, blickt in die Sonne, lässt ihre Wärme auf seiner Haut, in seiner Lunge wirken, man fühlt sich völlig befreit. Irgendwo nah genug, um nicht verloren zu gehen, schlägt ein Musiker karibische Akkorde an, alle halbe Minute mal einen, schickt sie durch ein weichzeichnendes Effektgerät und zaubert den am besten passenden Soundtrack zu dieser komplett entschleunigten Lebenssituation.

„Soft Rain“ nennt Dirk Serries seinen viertelstündigen Opener, dessen Gitarre indes mit sonnigem, karibischem Surf-Twang eine strahlendere Entspannung vor die inneren Augen führt als ein weicher Regen. In „Other Transformations“ leitet Serries anschließend für 14 Minuten über, seine Gitarre klingt jetzt zweigeteilt, in eine höhere, beinahe orgelartige, sowie eine dronige, in mittleren Lagen angesetzte Variante. Das Tempo bleibt gleich langsam, ein Metronom hätte hier Schwierigkeiten, überhaupt anzuschlagen, ganz abgesehen davon, dass es auf dem gesamten Album gar keine Takte gibt. Mit Hall und Leichtigkeit wähnt man sich in der Schwerelosigkeit, indes nicht im stockdunklen All, sondern im gleißenden Licht, umgeben von einer wohlwollenden, seelenwärmenden spirituellen transzendentalen Entität.

Mit „Weathering The Gale“ verführt Serries die Hörenden dazu, die nächsten 20 Minuten unter Wasser zu verbringen. Die Töne sind gedämpft, die Sonne schickt ihre Strahlen sanft durch die salzige Flüssigkeit, aus der unbedrohlichen Tiefe schlängeln sich Algenbäume empor und konkurrieren in Zeitlupe mit dem Glanz des Lichts. Es dauert eine Weile, bis man begreift, dass man ja unter Wasser atmen kann, dass diese Situation, in der man gerade schwebt, ein Geschenk ist, eine Gabe, dargebracht allein dadurch, dass diese Musik erklingt. Abermals meint man, anstelle einer Gitarre eine Orgel wahrzunehmen, als spielte sie jemand in einer versunkenen Kathedrale, deren Hallraum vom Meer verstärkt, verwischt, verteilt wird. Sind es zunächst noch Schulen kleinerer Fische, die in minimalster Geschwindigkeit durch diese abgedunkelte Kathedrale ziehen, werden diese alsbald durchkreuzt vom Leviathan; aus den unterschiedlichen Strömungsverhältnissen ergeben sich Dissonanzen, das Licht nimmt weiter ab, doch keine Angst, der Leviathan zieht vorbei, von ihm geht keine Bedrohung aus.

Der Leviathan ist nicht nur nicht bedrohlich, sondern sogar ein Freund – er nimmt die Hörenden mit zurück an die Oberfläche, zur letzten Viertelstunde, die dem Titelstück gehört. Auf der offenen See wogt das gigantische Urtier, man wogt mit ihm. Die Sonne dringt hell durch sich gemächlich verflüchtigenden Nebel, man wähnt sich in Breitengraden, auf denen der Frühling naht. Die Luft wird frischer, heller, womöglich befindet sich festes Land irgendwo in der Nähe, sieht man da am Horizont nicht behäbig mit den Flügeln schlagende Schmetterlinge im Dunst des Morgens? Serries‘ Gitarre erklingt einmal mehr mehrstimmig, aufmunternd dieses Mal, aber immer noch nicht wachrüttelnd, sondern positiv stimulierend.

Nach einem solch umfangend schönen Album mag man sich gar nicht an Fakten wenden. Aber muss ja: „Treasure Of Stars“ ist eine Sonderausgabe der Reihe „Streams Of Consciousness“, die Serries seit 2013 in unregelmäßigen Abständen mit solchen One-Offs füttert, in der Regel betitelt lediglich mit dem Aufnahmedatum, einzig die Tracks tragen greifbare Namen. Der letzte Teil „240112“ erschien nachträglich am 1. Januar 2025, der vorliegende entstand ja außer der Reihe. Zudem spielt diese Veröffentlichung auf Serries‘ Ambient-Alter-Ego VidnaObmana an, das er 1985 aus der Taufe hob und offiziell 2007 dorthin wieder zurückbrachte. Ein Blick auf jene Discographie lässt Sammler die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: Der hat unter vielem anderem mit Klinik und Asmus Tietchens zusammengearbeitet! Bevor man sich nervös daranmacht, sein Kleingeld zusammenzukratzen, sollte man besser zur Ruhe kommen und nochmal „Treasure Of Stars“ auflegen.