Von Marc Lücke (11.02.2021)
Bereits Ende vorletzten Jahres veröffentlichten die fünf Düsseldorfer Altpunks von den Toten Hosen ihr bereits zweites Album, das komplett ohne Verstärker aufgenommen wurde. Und das hat satte 31 Titel. Der Name des Albums ist also Programm. Und wie bereits „Nur zu Besuch. Unplugged im Wiener Burgtheater“ (2005) wurde auch „Alles ohne Strom“ live bei einem epochalen Konzert aufgenommen, diesmal allerdings in der Düsseldorfer Tonhalle.
Orchestral unterstützt wurden sie dabei von den Klassikmusikern der Berliner Philharmoniker, und ich schreibe es gleich zu Beginn: Diese fantastische Symbiose aus guter, handgemachter Rockmusik und einer mannstarken klassischen Orchesterbesetzung wird in die Annalen der deutschen Rockgeschichte eingehen, weil die Berliner mit ihren Instrumenten zu den zwei Gitarren, Andis Bass, Vom Ritchies Schlagzeug und Campinos gereifter Stimme passen, als wären ihnen die meisten der Hosenstücke schon vor etlichen Jahren extra für dieses Doppelpack geschrieben worden und nicht von (und für) eine Punkrockcombo, die Anfang der 80er Jahre kaum ihre Instrumente beherrschte bzw. regelmäßig am Mikrofon vorbei sang.
Los geht es mit einem Piano und A-Capella-Gesang bei „Entschuldigung, es tut uns leid“, dieser nicht ganz ernst gemeinten Lossagung vom Rebellentum der frühen Jahre. Mit „Strom“ geht es verheißungsvoll weiter. Sehr ansprechende Ska-Offbeats bietet „Urknall“, und die Message ist klar: Sie sind immer noch Punks, die „zurück auf den Bolzplatz“ (in Düsseldorf-Flingern) wollen und „all ihre Pyrotechnik von Rammstein aufgekauft“ wurde. Wurde sie natürlich nicht. Das neue Stück „Kamikaze“ ist ein sehr schöner Liebessong mit viel emotionalem Tiefgang, den in Deutschland wohl nur der mittlerweile auf Mitte 50 gereifte Sohn eines Richters und einer Engländerin Campino komponieren und vor allem texten kann. „Fliegen“ können die fünf Punks auch noch.
Mit dem Rammstein-Cover „Ohne Dich“ beweisen die Toten Hosen, dass sie inzwischen eine viel breitere musikalische Bandbreite abdecken als 1982, und da ist es ihnen auch egal, dass die „Neue deutsche Härte“-Rocker Rammstein einst Leni Riefenstahls faschistisch-verblendende Propagandafilme für eins ihrer Videos verwendeten. Weil man an manchen großen Titeln einfach nicht vorbei kommt. Und postwendend im nächsten Lied beweisen die Toten Hosen, dass sie keinen Millimeter Platz lassen für neue Nazis in ihrer Attitüde zu dem, was ab 1933 in Deutschland und der Welt geschah. Mit „Schwerelos“, einem ganz starken Lied über die Holocaust-Überlebende Ada Sternberg. Und das ist einfach der beste Song, den die Hosen je geschrieben haben. Punkt.
Und an dieser Stelle möchte ich auch gleich all denen eine Absage erteilen, die schon seit Jahrzehnten beklagen, das, was die Toten Hosen machen, wäre „kein Punkrock“ mehr, zu kommerziell und der Ausverkauf der Ideale, die Bands wie die UK Subs in Great Britain oder Slime Ende 70/Anfang 80 hochhielten, um ganz Europa zu schocken mit ihrer radikalen Haltung. Aber es ist eben scheißegal, ob Vincent Banane von den Groß Oesinger Spaßpunks „Hoax“ nach dem dritten Pils sagt, dass ein Hosenlied wie „Feiern im Regen“ ein schlechter Song wäre, nur weil er radiokompatibel ist und neben guter Laune nicht viel mehr zu sagen hat. Nein, die Toten Hosen haben sich einfach weiter entwickelt und das sollte man als Fan respektieren und durch Albumkauf honorieren, auch wenn man nicht auf DTH-Christbaumkugeln und den ganzen anderen kitschigen Merch aus dem Hause JKP steht.
Ganz anders als der Rest des Albums bildet „Politische Lieder“ den Tiefpunkt des sehr starken Albums, wofür man aber postwendend entschädigt wird durch ein komplettes Neuarrangement von „1000 gute Gründe“ und ein famoses Cover von „Everlong“ von den großartigen Foo Fighters. Neu ist „Sorgenbrecher“. Nicht schlecht, toll die Trompete. Eins der besten Stücke dieses Großwerks ist „Du lebst nur einmal“, bei dem die Berliner Philharmoniker und die Hosen ein musikalisches Feuerwerk im balkanischen Soundgewand abfeuern.
Mit dem Gute-Laune-Song „Love is in the Air beweisen die Düsseldorfer, dass ihnen Genres ganz egal sind, denn „gute Musik ist einfach nur gute Musik“, sagte einst schon der zu früh verstorbene Bates-Sänger Zimbl. Ganz anders „Frühstückskorn“, das klingt noch nach einer im Ratinger Hof durchzechten Nacht mit anschließendem Absacker. Nochmal die volle Breitseite Orchester bekommt man bei „All die ganzen Jahre“ zu hören, das ganz anders klingt als das Original, allerdings ohne die gute Melodie des Songs zu vermurksen. „Unter den Wolken“, eine Hommage an alle Punks und Freunde, die zu früh gegangen sind, wie Hosen-Manager Jochen Hülder oder der schwergewichtige ehemalige Bandfahrer „Dr.“ Faust. Zum Abschluss von „Alles ohne Strom“ laden die Hosen ihre Zuhörer dann ein, noch viele weitere Jahre mit ihnen zu gehen, denn auch nach 39 Jahren Punkrock versprechen sie: „Ob ihn Bahn oder Stadion, oder Arbeitsamt, wir finden immer einen Grund und Ort, weshalb man feiern kann.“ So soll es geschehen. Viva Punk – ein Leben lang.