Die Müller-Verschwörung: Versuch und Irrtum Vol. 2: Oxymoron und Paradoxie – Die Müller-Verschwörung 2024

Von Matthias Bosenick (29.10.2024)

Wer Die Müller-Verschwörung bisher womöglich eher der Texte wegen verfolgte, dem ist ohnehin eine geringe Aufmerksamkeit zu attestieren; der zweite Teil der „Versuch und Irrtum“-Vinyl-EP-Reihe mit dem Pleonasmus-Titel „Oxymoron und Paradoxie“ belegt eindrücklicher denn je, dass man es bei der Band mit eben einer Band zu tun hat. Alle vier Verschwörer plus Bonus-Flötistin spielen all ihre Fähigkeiten mehr als nur aus und arrangieren diese vier frischen Genre-Hüpfer ausnehmend detailverliebt. Auf die Texte sollte man selbstredend auch wieder hören und sich so seine psychologischen Lehren mitnehmen, dargeboten mal zynisch, mal reflektiert, mal albern, mal dringlich. Scheiße bauen als Chance!

Und wie gut die vier sind, Bandchef Bo Müller an den vielseitig-vielsaitigen Gitarren, Chrisz Meiers durchdringend groovender Bass, Olli Pohls feingliedrig schwergewichtiges Schlagzeug und Roland Kremer, der hier abermals als Multiinstrumentalist und Sänger auftritt. Für die Müllersche Musik galt schon immer eine nahezu absurde Genreoffenheit, seine Band spreizt den Indierock in Richtungen aus, die einem artfremd an verschiedenen Orten vorkommen, dies aber nie sind, denn dafür ist das Quartett kompositorisch und spielerisch viel zu grandios befähigt.

Los geht die A-Seite mit dem Quasi-Titellied „Sei paradox!“, dessen Text aus titelgemäßen Wortspielen besteht und dennoch einen Inhalt transportiert, nämlich einen Leitfaden für das Bestehen im Raubfischbecken moderne Gesellschaft mitgibt. Mit der Komposition liefert das Quartett zudem eine musikhistorische Lehrstunde mit, indem es den Übergang vom Funk zur Disco darlegt. Nebenbei betont die Band in der Info, dass ihr Ex-Schlagzeuger Andreas Plate abermals für die Mikrofonierung dieser EP verantwortlich zeichnet, und dieser Hinweis kommt nicht ohne Grund, so fein austariert, wie die Instrumente hier zu hören sind. Wenn allein der Bass seine Lücke findet und losschlägt, zwischen den Drumfills und Gitarrenfiguren, ein Fest!

Mit dem Titel „Vor der Reha (eine Frage der Zeit)“ liefert die Verschwörung einen Schlüssel zum zunächst kryptisch anmutenden Text des zweiten Songs. Die Klarheit kommt mit der Zeit, dass es sich dabei um den zynischen Hinweis darauf handelt, wie sich Menschen von ihren Lebensumständen ausnehmen lassen, indem sie sich ihnen selbst unterwerfen, bis sie an das Ende ihrer Kraft geraten. Der Song ist im fluffigen Indie-Rock-Pop dargeboten, abermals wunderschön arrangiert.

Einen stimmungsmäßigen Ausreißer stellt der erste Song der B-Seite dar, mit einem Titel, wie man ihn vom humorigen Müller seit Jahrzehnten kennt: „Liebling, darf ich dir einen Cocktail mixen?“ Selbst wenn er hier „Cocktail mixen“ auf „Richard Nixon“ und „Dauerwixen“ reimt, vermittelt er dennoch eine Wahrnehmung aus der Beobachterperspektive, wenn auch etwas uneindeutig: Vermutlich spiegelt das Lied die Lebenssituation von Leuten wieder, die sich ihren überhohen Lebensstandard mit viel Arbeit und abzuzahlenden Krediten ermöglichen und damit irgendwann an einen Punkt gelangen, an dem sie sich freigeschwommen haben und sich nun anderen Plänen widmen können, etwa luxuriöse Getränke zu sich oder die Familienplanung in Angriff nehmen. Dieser langsame Bar-Swing ist unter der lustigen Oberfläche ganz schön gehässig.

Und dann kommt der Knaller: „Geteert und gefedert“ erschien im Juni vorab als Single-Edit, hier ist das Stück komplett enthalten, über sieben Minuten lang und sowas von ein Stück Musik, dass jeder der vier sich auf seine Art austoben kann. Nicht vier, sogar fünf: Mit Carolin-Susanne „Casu“ Bachmann übernimmt eine Flötistin mit irrsinnigem Einsatz einen erheblichen musikalischen Teil dieses Jazz-Stücks. Auch eine Triangel findet endlich wieder Einlass in den Müller-Sound. Und der Spacerock, und zwar in dem Teil, der nach dem Ende der Single-Version noch folgt, da toben sie sich alle wieder aus. Und dann dieser Text, über einen Menschen, der mit seinen ureigenen Ideen durchs Leben zieht, bis der Blödsinn seines Tuns angesichts eine angerichteten Chaos‘ offenbar wird und man ihm der im Titel genannten Prozedur unterzieht und aus dem Ort jagt, mit der fröhlich hinterhergeworfenen Erkenntnis: „Nur scheitern macht so frei.“ Bis zum nächsten selbstverursachten Super-GAU.

Den diese EP keineswegs darstellt, sie setzt das Konzept „Versuch und Irrtum“ inhaltlich mit dem Schwerpunkt Widersprüchlichkeit fort – Teil 1, „Alles auf Plan B“, erschien im Februar 2023 – und lässt die Hörenden erwartungsfroh dem dritten Teil entgegenfiebern.