Von Matthias Bosenick (14.11.2022)
Dreidreiviertel Jahre zwischen Ticketkauf und Veranstaltung, das dürfte Rekord sein: Der dritte Nachholtermin des ursprünglich am allerersten Lockdowntag der Coronapandemie hätte stattgefunden haben sollenden Gigs der Originalsprecher der Hörspielserie „Die drei ???“ ging nun endlich über die Bühne, die zwischenzeitig sogar ihren Namen wechselte, von Tui- in ZAG-Arena nämlich. Routiniert servierten Oliver Rohrbeck als Justus Jonas, Jens Wawrczeck als Peter Shaw und Andreas Fröhlich als Bob Andrews eine eigens für die Tour zum vor drei Jahren begangenen 40. Geburtstag der Hörreihe konzipierte Geschichte, die sie fandienlich in die eigene Vergangenheit führt. „Der dunkle Taipan“ überzeugt mit gelungenem Fall, Meta-Humor und angemessener Bühnenshow – vor mehreren tausend Zuschauern, was bei einem Live-Hörspiel ja nun wirklich den Kopf explodieren lässt. Bei aller Glückseligkeit: Etwas mehr Herzblut hätte gern von der Bühne in den Saal fließen dürfen.
Für die drei Sprecher war es die ersten Jahrzehnte lang lediglich ein beliebiger Job, mit dem sie sich nicht weiter identifizierten, bis sie davon überrollt wurden, dass die Drei Fragezeichen unzählige Fans hatten – und haben. Lieblingsfolge? Keine Ahnung, bedeutet mir doch nix. Allmählich zuckten jedoch die Verantwortlichen mit den Portokassen und drückten der Serie eine gesteigerte Verkäuflichkeit auf, mit Merchandise, Sonderfolgen, Rechtsstreitereien, Reissues, Vinylpressungen und eben Livetouren. Vor 20 Jahren startete der Tross mit Sprechern, Musiker und Geräuschemacher und der exklusiven Geschichte „Master Of Chess“ erstmals durch die Republik, schmal angesetzt in kleinen Venues und davon komplett überrumpelt, dass die Nachfrage so gigantisch war. Ein güldener Moment für die aus der Kindheit qualvoll herausgerissene Boomer-Seele: Da schwelt etwas unschätzbar Großes im Untergrund, von dem die Macher gar nichts wissen. Unbemerkt wurden die Drei Fragezeichen nicht nur zu fiktiven Kriminologen und Abenteurern, sondern zu realen Lebensrettern. Das muss der letztgültige Erweckungsmoment für die Verantwortlichen gewesen sein, denn seitdem läuft die Maschinerie gut geölt, allerdings mit mittelmäßigen Rohstoffen. „Der dunkle Taipan“, die inzwischen vierte Live-Geschichte, stellt da inhaltlich und technisch eine wundervolle Ausnahme dar.
Der rote Vorhang verzieht sich, und man sieht Musiker und Geräuschemacher vor drei erleuchteten Fragezeichen, die die einzige Bühnendeko darstellen. Was für ein erfreulicher Unterschied zur zweiten Tour „Der seltsame Wecker – Live And Ticking“, obwohl der vom selben Regisseur inszeniert wurde, nämlich Kai Schwind – da hat jemand aus dem „Wetten dass..?“-Overkill gelernt und die Reduktion zum Inhalt erhoben. Völlig ausreichend, denn die Personen auf der Bühne bieten Show genug, obwohl sie im Grunde nicht mehr machen, als am Mikro ein Hörspiel zu performen. Die Story steigt gleich ein: Justus, Peter und Bob langweilen sich in ihrer Zentrale, dem alten Wohnwagen auf dem Gelände des Gebrauchtwarencenters Titus Jonas, als die alte Bekannte Allie Jameson, seit jeher eine der besten Nebenfiguren mit schlagfertigen Auftritten („Die singende Schlange“, „Die Silbermine“, „Feurige Flut“ und „Das Geheimnis des Bauchredners“), mit denen sie Justus gekonnt in die Schranken weist. Sie hat jedoch keinen neuen Auftrag, sondern lediglich die Bitte, für den Zeitraum ihres Redaktionspraktikums bei der Rocky Beach Today ihren Hund Queenie III (Queenie I war – Fans wissen es – Allies Pferd, Queenie II ihr Auto) bei den drei Detektiven parken zu können, während sie sich dem Fall eines Diebstahls aus der Asservatenkammer der örtlichen Polizei widmet. Was Justus natürlich lieber selbst tun würde, als Dogsitter zu spielen, aber Peter ist ganz überzuckert von dem Zwergpinscher.
Einen neuen Fall bekommen die Drei Fragezeichen direkt nach Allies Abgang: Ein verzerrter Anrufer aus einer Gefängniszelle gibt den Jungs codiert einen Auftrag. Der „Baikal-Code“ scheint sogar eine Erfindung nur für diese Show zu sein, auf jeden Fall ein schöner Griff in die Trickkiste, die der Fan so liebt: Rätsel knacken. Und von dort aus auf einem Tierfriedhof ein Schlangennest ausheben – ein Vorhaben, das in die Hose geht, weil ihnen ein Schlangenmensch in Gestalt des „Dunklen Taipans“, einer von Illustratorin Silvia Christoph grandios für das Cover des dazugehörigen Buches und des Tourplakates und des sonstigen Merchandises dargestellten australischen Giftschlange, eben genau das vermisste Diebesgut aus der Asservatenkammer abjagt. Der Auftakt zu einer Schnitzeljagd quer durch Kalifornien, über ein Spukhaus und eine Kunstgalerie bis hinein in den Teufelsberg, immer entlang an Devotionalien, die die drei Detektive – und mit ihnen die Zuhörer – bereits aus ganz alten Fällen kennen.
Das ist natürlich bestmöglich fandienlich: Der in die Jahre gekommene Zuschauer findet seine eigene Vergangenheit wieder, es fällt ihm leicht, sich in die Geschichte fallen zu lassen, das Setting fängt ihn wohlig auf. Die drei Sprecher bedienen das Wohlfühlgefühl, indem sie die Figuren genau so ausgestalten, wie man es kennt und erwartet: Wawrczeck als bester Schauspieler lässt Peter bibbern, sich freuen, hysterisch wimmern, mutig voranpreschen, Rohrbeck lässt Justus mit größter Souveränität viel essen und viel gestelztes Zeug reden und Fröhlich mit der eindrucksvollsten Ausstrahlung gestaltet Frauenschwarm Bob als nüchternen Rationalisten, der geschickt Informationen besorgt. Wenn sie einander anfrotzeln und sich freundlich foppen, birgt das einen Humor, der der Geschichte guttut – und den die Hörspiele viel zu häufig vermissen lassen. Das Krönchen ist der Meta-Humor, der sogar ausschließlich live funktioniert: Rückgriffe auf innere Infos, etwa das Alter der Sprecher – Bob: „Wir sind 16, und das seit 43 Jahren“, Layoutprobleme – Peter: „Mich würde interessieren, ob ich jetzt das rote oder das blaue Fragezeichen habe“, Marketingfragen – Bob: „‚Das Gold der Inka‘ zählt nicht als Fall von uns, das war ein Computerspiel, da haben sie andere Sprecher genommen“. Das ist ein rührendes Signal, weil es zeigt, dass sich inzwischen auch die Macher mit der Serie auseinandersetzen, und das stärkt die Verbundenheit zwischen Hörenden und Sprechenden. Gefühlt.
Noch etwas, das hier besser läuft als in den Hörspielen: Die Dialoge der Protagonisten sind nicht so redundant wie das ohrenscheinlich in einem Pappkarton aufgezeichnete Gesabbel in den letzten 100 Hörspielen, sie kommen schneller auf den Punkt und tragen ansonsten eben humorige Inhalte. Das Drehbuch ist somit straffer, da kann man nur dem Bob-Sprecher danken, der die Buchvorlage von Henrik Buchna, der nach seinem 2006er-Auftakt bei Die DR3I sowie dem 2010er-„DreiTag“ im Jahre 2011 ebenfalls mit einem Schlangen-Fall als Autor in die Hauptserie einstieg, zum Live-Skript umgestaltete. Auch die Atmosphäre hinter den Dialogen überzeugt besser, was ebenfalls nicht verwundert, schließlich ist der Geräuschemacher Jörg Klinkenberg seit der ersten Tour heimlicher Held jener Aufführungen und bekommt hier sogar eigene Screentime. Er und eine junge Kollegin übertreffen mit ihrem Instrumentarium sogar noch um Längen die eingespielten Sounds, die Rohrbeck ergänzend vorbereitete. Ebenso ergänzend spielt Valentin Rövenstrunck Musik ein, häufig aus den Hörspielen vertraut, von neuen Synthie-Tracks bis ganz alten Orchesterstücken, natürlich unter Auslassung des begnadeten Oeuvres von Carsten Bohn. Schön übrigens, dass zum Einstieg eine brummende, downgepitchte Version des Titelsongs der Neunziger bis Zehner erklingt. Ebenfalls überzeugender ist hier überdies der Erzähler: Michael Prelle ist mit seiner getragenen Performance näher an dem gefühlten Hitchcock eines Peter Pasetti, als es der gegenwärtige Hörspiel-Erzähler Axel Milberg schafft, der sehr wohl einen guten Job macht, aber gegen Pasetti kann man ja nur verlieren.
Und es überzeugt das Bühnenbild: Zunächst bleibt es bei drei überdimensionalen Fragezeichen, die bei Bedarf ihre Farbe wechseln. Davor turnen Rohrbeck, Wawrczeck und Fröhlich herum, Klinkenberg und Kollegin sitzen, Rövenstrunck steht an seinem Keyboard, an die anderen Mikros treten Prelle sowie bei Einsatz die weiteren Sprechenden Katrin Fröhlich, der man die Originalstimme von Allie gar nicht mehr anhört, Tim Grobe und Matthias Keller, die allesamt grandios performen und mächtig aus sich herauskommen, obgleich sie ja eigentlich lediglich sprechen sollen. Einen Deko-Wechsel gibt es, sobald die Detektive mit dem Auto verunglücken: Prelle tritt vor den roten Vorhang und erzählt vom potentiellen Ende, und sobald der Vorhang sich wieder verzieht, sieht man die drei Sprecher in einem Käfig von der Decke baumeln, umringt von Feuertöpfen und Pyrotechnik. Wow!
Eine Untiefe birgt die Geschichte, auf die die Figuren indes selbst zu sprechen kommen, als es bereits zu spät ist: Die Drei Fragezeichen hinterfragen Auftrag und Auftraggeber nicht, sondern lassen sich blind instrumentalisieren und verführen. Das ist zwar nicht neu im Universum der Kalifornier, aber wenigstens nicht ganz so bekloppt wie in „Pfad der Angst“. Der finale Gegenspieler ist – natürlich – ein alter Bekannter, den der tierische Bezug im Titel im Grunde schon verrät, und mit ihm nimmt man die genannte Untiefe in Kauf.
Und mal so überhaupt! Das muss man sich grundsätzlich auf der Seele zergehen lassen: Da hört man noch als Minderjähriger seit 1979 eine gruselige Hörspielserie oder liest – seit 1964 in den USA und ab 1968 auch in Deutschland – die Bücher, und 43 bis 58 Jahre später lebt diese Serie immer noch, wenn auch qualitativ mittelmäßig, aber dafür derartig gefeiert, dass eine 14.000 Zuschauer fassende labyrinthische Glas-Beton-Halle rappelvoll mit Menschen ist, die den Originalsprechern dabei zugucken wollen, wie sie auf der Bühne eine Einschlafhilfe generieren, zu der man beim besten Willen nicht einschlafen mag. Ein Hörspiel. Kopfkino. Vor mehreren tausend Menschen. Rock’n’Roll!
Bei allem kollektiven Glück, das diese Bühnenshow verbreitet, bleibt ein schaler Nachgeschmack: Die Aufführung ist routiniert, selbst die Gags mit Klinkenberg sind offenkundig gescriptet, für Spontaneität ist kein Raum, die magere Absage an „Hannover“ mit kurzer Rumbrüll-Mitmachaufforderung schlägt keine trittfeste Brücke zu den Hörenden. Offenbar sind die Drei Fragezeichen doch nur ein Job, den die Sprechenden immerhin mit einer gewissen Faszination dafür ausüben, dass dieser Unsinn so viele Fans hat. Da ist das Vollplaybacktheater deutlich mehr Publikumsnähe, mehr Leidenschaft, auch mehr Anarchie und Punkrock, spürbar mehr brennende Liebe zu den Drei Fragezeichen – und zum Publikum, das für das Ensemble mehr darstellt als eine Einnahmequelle, der man ohne entsprechenden Hinweis T-Shirts von anderen Tourtagen verkauft, weil die aus Hannover bereits vergriffen sind, und dafür nicht einmal weniger als die üblichen 30 Euro verlangt. Berlin geht aber auch okay, denn, so die Freundin: „Wer trägt schon T-Shirts, wo Hannover draufsteht.“
Auf das Abenteuer, die drei Detektive zu erleben, und das dieses Mal von Reihe 3 aus!, lässt man sich trotzdem ein, immer und immer wieder. Sollte es in fünf Jahren wieder eine Tour geben, dann reiht man sich gewiss erneut in die singende Schlange am Ticketschalter ein. Auch, wenn wie dieses Mal die Formulierung „spezialgelagerter Sonderfall“ gar nicht fällt: Dies ist einer, wie auch die von anderen Leuten inszenierten Planetariumsgeschichten besser als die regulären Hörspiele. Das sollte ihnen ein Signal sein, hm?
Und irgendwie hinterlässt es ein leeres Gefühl, dass das am 26. Februar 2019 erworbene Ticket für den 11. März 2020, den 10. Oktober 2020 und den 28. Juni 2021 nun seit dem 12. November 2022 endgültig ungültig ist.