Von Matthias Bosenick (18.06.2024)
Das Wort „Experiment“ ist für diese Liveaufnahme noch geprahlt: Von Musik mit rhythmischer Anordnung oder nachvollziehbarer Melodieführung ist „Live At Zodiak“ ausnehmend weit entfernt. Wer sich diesen einstündigen Auftritt anhört, sollte offen sein für Flächen, Soundspielereien, Noise und Spracheinwürfe. Die Zusammensetzung dieses Trios ist dabei exorbitant aufsehenerregend: Günter Schickert, bekannt für seine Teilhabe an Jazz und Krautrock, vornehmlich in der Band Ziguri, tritt hier mit Die Angel zusammen, einem Projekt von Dirk Dresselhaus und Ilpo Väisänen, also Schneider TM und Pan Sonic. Krautiges Frickel-Electro steht zu erwarten – aber nicht zu hören: Das wäre ja einfach!
Schließlich fassen Dresselhaus und Väisänen Die Angel seit 2002 (damals noch als Angel, heute als Die ANGEL) als Spielwiese für ihre avantgardistischen Experimente auf, das hat sich was mit tanzbar oder was zum Mitsingen oder so, und wenn dann ein seinerseits experimentierfreudiger Jazzprofi mit Krautrock-Hintergrund hinzukommt, wird der die Musik kaum in Richtung Pop biegen wollen. Dennoch, was man zu hören bekommt, strengt höchstens durch die Abweichung vom Konformistischen an, nicht durch die Sounds, jedenfalls nicht in der ersten Häfte: Auch wenn die drei Männer Drones generieren und dazu ihre Effektgeräte abfeuern und in der Echokammer zu murmeln beginnen, generieren sie keine harschen Messerstiche ins Trommelfell oder ins Nervenkostüm.
Die Dronetapete dieser Performance ist nicht dominant und auch nicht aggressiv, sie liegt wie ein schmutziges Tuch hinter den sonstigen Aktivitäten der drei Performer. Die lassen von der Leine, was ihr Fuhrpark so hergibt, aber übertreiben es damit auch nicht. Mal sind es dezidiert getupfte Sounds, mal sind es Quäktöne, mal Sirenen, mal Schaben oder Rascheln, und wenn sie der Mut packt, ordnen sie ausgewählte Samples sogar auf eine Art und Weise an, die den Eindruck erweckt, etwas nervöses Rhythmisches zu hören zu bekommen. Und dazu erhebt bisweilen jemand seine Stimme, irgendwo im leeren Raum. Nach zwei Dritteln wird den Dreien indes langweilig und sie erhöhen die Lautstärke und damit dezidiert den Nervfaktor. Die Sirenen nehmen Überhand, Schiffsglocken erklingen, es wird noisig und laut. Nur kurz: Alle wieder wach? Dann geht es nämlich wieder so weiter wie davor. Äh: Sind das Walgesänge oder wikingische Lurenbläser da? Und wieso nahen da Flugzeuge im Sturzflug? Zum Schluss wird’s nochmal rauh und noisy, aber herkömmliche Musik, die gibt’s hier nicht.
Dieser Mitschnitt entstand im September 2021, als Die Angel und Schickert im freien Theater Hebbel am Ufer (HAU) im Rahmen des Festivals „Bildet Nischen! Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab“ auftraten und live improvisierten. Das Festival erinnert an den Zodiak-Club, den eine Gruppe um Conrad Schnitzler und Hans-Joachim Roedelius von 1967 bis 1969 betrieb – und zwar unter derselben Adresse, unter der heute das HAU residiert. Seinerzeit gab der Club wichtige Impulse für Krautrock und die Elektronik der Berliner Schule, und so nimmt es nicht Wunder, dass es zur Konstellation aus Schickert und Die Angel kommt. „Live At Zodiak“ ist dabei der dritte Teil der Serie MWM, Mirror World Music, mithin die Fortsetzung von „MWM #1“ von The Shape Of Minds To Come“ (2023) und „MWM #2“ von Faust (2024) sowie „MWM rough #1“ von Krautfuzz (2023) und „MWM rough #2“ von Schneider TM (2024).