Von Matthias Bosenick (17.10.2018)
Warum nimmt man einen Keyboarder mit, wenn man sich ein Orchester und einen Chor in den Rücken stellt? Vielleicht, weil Devin Townsend selbst die Idee zu einem revolutionären Mix von Metal und Klassik am Ende doch nicht mehr so revolutionär fand – oder weil er sich im Komponieren brandneuer Partituren verhoben hat und die klassisch geschulten Musiker lieber im Hintergrund fiedeln lässt, damit das nicht so auffällt. So guckt man sich die vierte besondere Live-Veröffentlichung von Dev in Folge eben in Ruhe an und, zuckt mit den Schultern und versucht, sich die Perlen in den beiden Setteilen zu merken, die aus Fanwünschen und der Komplettaufführung des höchstguten Debüts „Ocean Machine“, jenes ohne Klassik, bestehen.
Unbestritten, Dev ist einer der versiertesten Gitarristen der Erde und einer der kreativsten Köpfe im Metal überhaupt. Von brutalem Gitarrenbrett bis zum chilligen Ambient deckt er seit über 20 Jahren sämtliche möglichen Spektren ab, und das schlägt sich auch im „By Request“-Teil der Box nieder. Die Jünger durften wählen und sie entschieden ein Set, das Hits und Raritäten berücksichtigt. Gerade letztere, wie die frühe Single-B-Seite „Om“, machen das Konzert erinnerungswürdig. Ansonsten hat man nun wirklich schon genug spektakuläres Livematerial von ihm.
Auch mit Chor, okay, aber noch keines mit Orchester! Sieht eindrucksvoll aus, die große Gruppe der Menschen mit ihrem klassischen Instrumentarium, wie diese Leute versuchen, sich in Devins Brett einzufügen und nicht daran zu verzweifeln, dass das kaum Platz für ein Orchester lässt – zumal ein Keyboarder zur Stelle ist. Selten drängt sich das Orchester musikalisch nach vorn, noch seltener mit etwas, das von der bekannten Struktur des jeweiligen Songs abweicht. Aber es sieht eben schmuck aus.
Viel wichtiger als das ist natürlich der 20. Geburtstag von „Ocean Machine“, das Devin seinerzeit unter dem Alias Biomech veröffentlichte und das seitdem Seinesgleichen im Metal speziell und in der Musik allgemein sucht. Selbst Devs eigene Alben sind maximal ebenbürtig, besser als „Ocean Machine“ war er nie. Und ist es auch live nicht: Wenngleich die Band das Werk auf über eine Stunde dehnt, lässt sie nur selten bemerkenswerte Neuerungen zu, diese dann aber schön, etwa eine unerwartete Ambientpassage oder eine verlängerte Instrumentalpassage.
Wer Devin sammelt, braucht Geld. Die vorliegende Box gibt es in einem hübschen Büchlein mit Standbildern von dem Auftritt in Plovdiv und mit drei CDs, 2 DVDs und einer BluRay. Und es ist das vierte Live-Produkt in Reihe: Zuletzt erschien 2015 „Ziltoid Live At The Royal Albert Hall“, davor „The Retinal Circus“ 2013 und „By A Thread – Live in London“ 2012, ganz abgesehen von der Box „Contain Us“ von 2011 mit Studioalben und DVDs. So geil „Ocean Machine“ auch ist: Sollte sich jemand eine dieser Boxen zum Verzicht aussuchen müssen, wäre diese der geeignete Kandidat. Wird einfach mal wieder Zeit für etwas Neues, nicht nur Katalogverwertung.
Das „By Request“-Set:
01 Truth (von „Infinity”, 1998)
02 Stormbending (von „Transcendence”, 2016)
03 Om (von „Christeen”, 1998)
04 Failure (von „Transcendence”)
05 By Your Command (von „Ziltoid The Omniscient”, 2007)
06 Gaia (von „Synchestra”, 2006)
07 Deadhead (von „Accelerated Evolution”, 2003)
08 Canada (von „Terria”, 2001)
09 Bad Devil (von „Infinity”)
10 Higher (von „Transcendence”)
11 A Simple Lullalby (von „Synchestra”)
12 Deep Peace (von „Terria“)