Von Matthias Bosenick (23.12.2021)
So geht Weiterentwicklung im Black Metal, bloß kein Stillstand: Der Weg einer Freiheit aus Würzburg können „Unstille“ genau so gut wie „Stille“, und letztere eröffnet das neue Album, das dennoch trve mit „Noktvrn“ betitelt ist. Das Stille an diesem Album ist dabei nicht so sehr am zeitgenössischen Post-Black-Metal orientiert, der sich wiederum bei opulenteren Spielarten wie Shoegaze und Postrock bedient, sondern tatsächlich filigran, zurückhaltend, minimalistisch. Wenn dann die vertraute Energie losbricht, fügt sich beides dennoch überzeugend zusammen. Und wenn dann plötzlich Soul-Passagen erklingen, äh: Ja, man kann den Black Metal ausdehnen, ohne ihn zu verraten, das beweisen auch andere Bands und Künstler ganz ausgezeichnet, Myrkur, Alcest, Solbrud oder eben Der Weg einer Freiheit. „Noktvrn“ hat das Zeug für Jahresbestenlisten. Und das geilste Cover hat die Platte auch noch.
Mit dem zerbrechlichen Opener „Finisterre II“ knüpft die Band namentlich an das Vorgängeralbum aus dem Jahr 2017 an, warum auch immer, mag man meinen: Ein stilles Stück Musik ist ein stilles Stück Musik. Das erste „Finisterre“ hingegen ist alles andere als still, es groovt und mosht und endet mit Streichern. Mit Teil II schlägt die Band mit der akustisch gespielten Version des ursprünglichen Monolithen eine Brücke über das Live-Album, das dazwischen erschien. Auch das folgende Stück „Monument“ beginnt fragil, um im Verlauf loszubrechen, mit den beinahe klassischen Black-Metal-Blasts, mit Gekloppe, Geschrei und Geschrammel, wie man es in dem Genre erwartet, doch geben sich Der Weg einer Freiheit nicht mit Traditionen ab, sie brechen sie, sobald sie sie bedienen, und spätestens in „Am Rande der Dunkelheit“ klingt die Band kein Bisschen mehr nach dem Gepolter, sondern nach einer organischen Gemeinschaft, die dazu bereit und in der Lage ist, handfesten Rock’n’Roll zu spielen, nur eben einige Pfund schwerer; man hört hier deutlich heraus, dass die Band das Album live einspielte. Und immer wieder überraschen Der Weg einer Freiheit mit Melodien.
Der herausragende Höhepunkt des Albums ist zweifellos „Immortal“, das Der Weg einer Freiheit mit The Devil’s Trade aufnahmen. Hinter diesem Akustik-Projekt steckt Dávid Máko, der ansonsten bei der ungarischen Doom-Metal-Band Stereochrist spielt. Hier singt er die Strophen klar, beinahe soulig, zu einem elektronisch anmutenden Basspulsieren, in das Nikita Kamprad im Refrain hereinschreit. Die Band türmt sich zu Hymnen auf und unterstreicht einmal mehr, dass Progressivität nicht allein aus verschachtelten Kompositionen besteht. Und progressiv sind Der Weg einer Freiheit seit jeher, das zeichnet sie aus und unterscheidet sie vom stumpfen Kirchenanzünder-Black-Metal aus Norwegen. Natürlich beherrschen auch Der Weg einer Freiheit Blastbeats, Powerakkorde und irrsinniges Tempo, aber sie bauen nicht ihre Karriere darauf auf.
Auf „Morgen“ fällt die Band dann wieder zurück in die Lärmstrukturen, die man vom Genre erwartet, natürlich nicht, ohne sie zu brechen, zu zerbrechen gar. Das können sie so gut wie etwa Solbrud, immer eine spielerisch sensationelle Idee im Köcher. Hier erinnern die Würzburger bisweilen sogar an Gojira, und zwar an die aus der guten, alten Zeit, nicht an den poppigen Kram von heute, wenn der Gesang eher gebrüllt als gekeift die sich steigernde Energie der Musik aufgreift. „Gegen das Licht“ startet wieder ruhig, bis ein fuzzy Bass einsetzt und sich die Musik dann doch einmal vorübergehend wunderschön in Richtung Postrock öffnet. Bis es wieder knallt. Und das Stück in einer Art Gothic Metal mündet. Und sich die Band den Witz erlaubt, für exakt einen Akkord eine Kirchenorgel einzusetzen. Das ist Luxus!
Sollte es sich bei „Haven“ ähnlich verhalten wie bei „Finisterre“, dann ist der Abschluss eine spannende Vorausschau auf ein potentiell folgendes Album: mehr Shoegaze als zuvor, hoher, beinahe sakraler Gesang, Introvertiertheit, sich ohne Härte auftürmende Musik, die pure Atmosphäre, und irgendwo in Frankreich zwinkert Neige, wenn er das hört. Aber man lernt ja aus „Noktvrn“, dass die Band mit Vorliebe Finten legt und dann doch wieder den Hammer auspackt. Zum Glück!
Mit „Noktvrn“ bezieht sich die Band überraschenderweise auf Frédérik Chopin und seine „Nocturnes“, es handelt sich also um ein Konzeptalbum, das die Nacht zum Thema hat, mit allen Aspekten zwischen Einschlafen und Aufwachen, mit dem Dämmerzustand dazwischen, mit Träumen und Alpträumen und natürlich der Dunkelheit. Und dann dieses Cover, das rein grafisch ist, ein Farbverlauf von Dämmerviolett zu Schwarz mit einer klaren Linie als Grenze, die grob auf 1 Uhr verläuft, also mitten in der Nacht, und von Weitem aussieht wie eine nächtlich einen spaltweit geöffnete Tür. Grandios!
Die CD gibt’s limitiert in einer Box mit einer Live-DVD al Bonus sowie einigen Goodies. Das gezeigte Konzert ist ein Mitschnitt des Auftritts bei der „European Metal Festival Alliance“ vor einem Jahr; für Bildfetischisten, die lieber eine BluRay gehabt hätten, liegt ein Download-Code für eine 4K-Version des Films bei.
Die Tracklist der DVD:
01 Aufbruch (von „Finisterre“, 2017)
02 Der stille Fluss (von „Agonie“, 2011)
03 Lichtmensch (von „Unstille“, 2012)
04 Skepsis Part I (von „Finisterre“, 2017)
05 Skepsis Part II (von „Finisterre“, 2017)
06 Letzte Sonne (von „Stellar“, 2015)