Von Matthias Bosenick (12.12.2022)
Schon wieder eine Corona-Platte, das Thema wird die Welt vermutlich auch künstlerisch noch eine ganze Weile begleiten. Dead Cross, die – hust – Supergroup um Mike Patton, bastelte in der Pandemiezeit an „II“, ihrem selbsterklärt zweiten Album. Hier geht es zu, wie man es anhand der Besetzung erwartet: Dave Lombardo (Ex-Slayer sowie diverse Bands und Projekte, viele mit Mike Patton) am Schlagzeug, Michael Crain (Retox und weitere Bands) an der Gitarre und Justin Pearson (The Locust und ebenfalls Retox sowie 1,4 Millionen zusätzlicher Beteiligungen) am Bass. Wie, die letzten beiden sind eher nicht so bekannt? Macht nix, allein Lombardo und der kurioserweise erst nach der Bandgründung hinzugestoßene Patton rechtfertigen das Etikett Supergroup, so! Ist natürlich Quatsch; kein Quatsch indes ist die gemeinsame Mucke: punkgetriebener Thrash-Rotz-Metal. „II“ ist der musikalische Beleg, dass die Welt schlechte Laune macht, und dieser Beleg macht gute Laune.
Das Quartett wirft einfach mal alles in einen Topf, was so anliegt: Irrsinnstempo, Gitarrengeschredder, Geschrei, Klargesang, Riffs, Breaks, Groove, Most, Melodien, und weil grad Zeit ist, auch ein Bisschen Kunst, weil, man hat es hier ja mit Leuten zu tun, die was können, und das macht bei Dead Cross einen erheblichen Unterschied. So fließt dann eben auch mal etwas Surftwang in das Chaos ein, was möglicherweise lediglich unter dem Rubrum Thrash Metal oder Hardcore einen Fremdkörper darstellt, nicht jedoch im Zusammenhang mit Mike Patton und etwa dessen Projekten Mr. Bungle oder Fantômas, bei denen Lombardo ebenfalls involviert ist. Na guck!
Kern der Brutalität ist hier nicht allein Corona – sondern andere Erkrankungen: Bei Michael Crain wurde Krebs diagnostiziert und Patton leidet an Agoraphobie. Beide Umstände stoppten jedoch den Aufnahmeprozess nicht, sondern befeuerten ihn, und so lässt sich der persönliche Schmerz vermengt mit dem allgemeinen Weltschmerz nur zu deutlich heraushören. Indes nicht vermittels Weinerlichkeit: Dead Cross hauen in die Vollen, toben sich aus, vermengen, was gerade herumliegt, und reflektieren nicht nur sich selbst und die eigenen Befindlichkeiten, sondern klopfen auch Obrigkeiten auf die Finger, besser: kotzen ihnen vor die Füße, Regierung, Kirche, was gerade im Weg steht. Und das eben mit den musikalisch druckvollsten und abwechslungsreichsten Mitteln, die alles abdecken, was die vier Miteinandermusiker so im Gepäck haben: Hardcorepunk wie bei Retox und Thrash Metal wie bei Slayer sowie alles dazwischen. Was sich auch im Gesang ausdrückt: Justin Pearson keift den Hardcore, Patton bringt den Rest mit, von Metal-Shouting über Flüstern bis Pop-Klargesang. Und ja, die Gitarre klingt auch mal nach den Dead Kennedys, das passt auch zum politischen Anliegen von Dead Cross.
Diese – übrigens von Ross Robinson produzierte – gute halbe Stunde wirkt aufgrund der Diversität ihrer Stücke viel länger. Da passiert so viel, dass man sich wundert, dass man die LP so schnell wieder umdrehen muss. Dabei wäre sogar noch mehr Material vorhanden: Das vorab veröffentlichte Black-Flag-Cover „Rise Above“ hätte noch zusätzliche zweieinhalb Minuten Musik ergeben. Wer weiß, wo sich ein Vinyl-Freund wie Patton da die nächste Möglichkeit einräumt, den Track noch physisch unter die Leute zu bringen. À propos: Die Schallplatte „II“ ist pissgelb. Äh, goldmeliert.