Das Vollplaybacktheater interpretiert: Die drei ??? und der heimliche Hehler – Live in der Lindenhalle in Wolfenbüttel am 10. Februar 2024

Text von Matthias Bosenick | Fotos von Andrea Smolka und Matthias Bosenick (11.02.2024)

Endlich kamen auch die Wolfenbütteler in den vergnüglichen Genuss der jüngsten Tour des Wuppertaler Vollplaybacktheaters: Der Termin am 7. Oktober 2023 war unfallbedingt ausgefallen, der Nachholtermin war dann auch gleich der Abschluss der ganzen Tour. Die dem Stück zugrundeliegende Episode aus der Hörspielreihe um die Juniordetektive Die drei Fragezeichen aus Rocky Beach erschien 1985, was das Ensemble zum Anlass nimmt, seinen berühmten Mash-Up mit dem Besten der Fêtenhits der Achtziger zu durchsetzen. Die Tanzchoreos kamen zwar beim Publikum bestens an, doch die wahre Qualität des VPT liegt im assoziativen Überkreuz dubiosester Sprachsamples.

Da zeigt sich das VPT nämlich unerreichbar, wenn es darum geht, eine bestehende Geschichte sinnig bis unsinnig zu ergänzen. Die Hehlerei und die Achtziger in Kalifornien sind hier die inhaltlichen Bezugsgrößen, da übernimmt der verbrecherische Galerist den Ton von Schlemihl aus der Sesamstraße, um Peter ein unsichtbares Eis anzudrehen, und das VPT findet in den über 225 Hörspielen hinreichend Zitate des zweiten Detektivs, die daraus einen funktionierenden Dialog machen. Ebenso fündig werden die Wuppertaler, als der Hehler das Trio fragt, welche Frage es ihm stellen will, und die drei solche aus allen unmöglichen Folgen aufführen. Die Szene am Strand mit Ivar Leon Mengers berühmten „schönen Möwen“ und Peters Rechenkünste in der Zentrale sind auf nämliche Weise zusammengestellt, es ist eine Freude und versetzt ins Staunen.

Ein weiterer Bezug können an anderer medialer Stelle auftauchende Stimmen der Sprecher sein. Bis zu dem Abend war es dem Rezensenten gar nicht bewusst, dass der Hehler von Günter Pfitzmann gesprochen wurde – erst, als er seinen Kunden Edle Tropfen in Nuss anbietet, wird dies klar. Und macht Pfitzmanns dazwischengeschnittenen Rant gegen sein Publikum umso unerträglicher; Himmel hilf, gut, dass es damals noch kein Social Media gab. Passend dazu lässt das VPT einen Disclaimer laufen, um auf die Stellen hinzuweisen, die heute als Fatshaming disqualifiziert würden; das ist berechtigt, raubt den entsprechenden Szenen aber trotzdem nicht den Witz.

Oder, drittens, die Bezüge passen inhaltlich oder sonstwie assoziativ: „Baywatch“ am Strand von Venice Beach oder „Der weiße Hai“ beim Tauchen sind als Ideen relativ leicht nachvollziehbar, unmöglich indes käme man auf den Gedanken, in Kommissar Reynolds Büro eine Rundumleuchte am PC-Röhrenmonitor anzubringen und bei deren Losgehen den einzigen Gag aus „Rambo III“ einzubauen. Auch den Querschlag zu „Stranger Things“ hätte man nicht auf dem Schirm, dabei ist diese Serie ja ein gelebtes Achtziger-Fest.

Weitere Sequenzen bestehen aus Selbst-Zitaten, die das VPT wie bei einem Livekonzert dazwischenhaut: Das Publikum will seine Lieblingsmomente erleben und bekommt sie auch, wenn auch dieses Mal nur kurz angerissen. Die Eissorten etwa oder John Sinclair mit dem klassischen „Den rechten Fuß vor, das linke Bein nachziehen“. Und dann gibt es noch Einspieler, die man gar nicht zuordnen kann, da wäre eine Quellenliste höchst interessant. Was macht das VPT eigentlich mit den Tonspuren seiner Shows, sobald die durch sind?

Kaum weniger einfallsreich und detailverliebt ist das VPT auf der visuellen Ebene. So finden sich in der Deko allerlei von Aiga Rasch für die Cover erdachte Ikonen, vom schreienden Wecker bis zum magischen Kreis. In der Galerie hängen berühmte Kunstwerke wie die Velvet-Underground-Banane von „Oskar“ Warhol oder das Banksy-Mädchen, das die drei Tölpel wie bei der berühmten realen Auktion schreddern. Oder es gibt gleich in den Hintergrundfilmen eingebaute Wortspiele, etwa den Lastwagen mit der Aufschrift „VPT Umzüge“, als von solchen anlässlich der Feierlichkeiten zum 4. Juli die Rede ist.

Man möchte die Tonspuren nochmal Moment für Moment nachhören, so kreativ gekoppelt sind sie. Irgendwo war da doch ein „Palim, palim“, oder? Ja, aber auch: Die Hits der Achtziger, für Choreos dazwischengeschnitten. Teilweise gibt es einen inhaltlichen Bezug, oft erschließt sich der aber nicht und die Samples erscheinen willkürlich, Hauptsache, das Publikum kann wie seine Eltern beim „Blauen Bock“ mitklatschen. Bis auf wenige Ausnahmen hält das VPT die Songs gekürzt, nämlich lang genug, um erkannt und beklatscht zu werden, und limitiert genug, um nicht gänzlich zu nerven. Solche Einlagen gab es schon immer, da geht die Menge ab, und das generierten die Wuppertaler eben dieses Mal mehrfach. Da steckt jedoch einiges an Fremdscham drin, und außerdem nimmt es dem Raum für die brillanten Dialoge. Und yes, we’ve been rickrolled, klar. Solche Perlen wie „Aces High“ von Iron Maiden oder „Behind The Wheel“ von Depeche Mode waren da leider Ausnahmen.

Eine Publikumsteilnahme fand dieses Mal aber auch noch anders statt: Als der Hehler ein Stück feilbietet, dreht er es einer Zuschauerin an, der er einen Obolus abringt, und als die drei Fragezeichen den Cover-Schlager „Nur dein Clown“ von Echo-Echo performen, reichen ihnen zwei Frauen Kunststoffblumen hoch, wie in der ZDF-Hitparade. Die Vermutung liegt nahe, dass beides inszeniert war; nicht schlimm, unerwartet war es in jedem Fall.

Abermals freut man sich darüber, die lediglich sechs Darstellenden diesen Reigen an Figuren lippensynchron zu personifizieren und auch noch selbst in den Szenenwechseln die Umbauten vorzunehmen; trotz der Jahrzehnte wird das VPT nicht, wie etwa Deichkind, größenwahnsinnig und technisch glattgebügelt. Die Videoleinwand war vor einiger Zeit die einzige technische Neuerung, der Rest ist geblieben wie eh und je. Ein Reiter betritt die Bühne eben auf einem Pferd aus Luft, das funktioniert nach wie vor tadellos, schließlich sind Hörspiele ja ohnehin schon eine Aufforderung an die eigene Vorstellungskraft. Überdies fällt auf, dass die Schauspieler sich inzwischen nicht mehr allzusehr schminken müssen, um Menschen Mitte, Ende 40 zu spielen – das sind sie ja selbst längst. Verdammt, die Zeit rennt!

Die nächste Show „JOHN“ behandelt abermals Geisterjäger John Sinclair, die Tour ist längst veröffentlicht. Das dürfte dann die 24. für den Rezensenten sein.

Vollplaybacktheater-Touren seit 1997, gesehen [verpasst]:

[– Das Geheimnis der Särge 1997]
[– Der Superpapagei 1999]
– Die rätselhaften Bilder, FBZ Braunschweig 1999
– Das Geheimnis der Särge, FBZ Braunschweig 1999/2000
– Das Leichenhaus der Lady L., FBZ Braunschweig 2000
– Toteninsel, FBZ Braunschweig 2000/2001
– Toteninsel, FBZ Braunschweig 20.10.2001
[– John Sinclair meets Hanni & Nanni 2002]
[– Hanni & Nanni go Space 2002]
– Banditen, Bars & Butterbrote (Hanni & Nanni vs Edgar Wallace: Das Gasthaus an der Themse), Jolly Joker Braunschweig 2003
– Die singende Schlange, Brunsviga Braunschweig 21.10.2004
– Das Gespensterschloß, Brunsviga Braunschweig 11.10.2005
– Der Teufelsberg, Capitol Hannover 11.05.2006
– Der Superpapagei, Staatstheater Braunschweig 09.05.2007
– Den rechten Fuß vor, das linke Bein nachziehen Clubtour (John Sinclair: Das Horror-Schloß im Spessart), Brunsviga Braunschweig 13.05.2008
– Die bedrohte Ranch, Capitol Hannover 04.11.2008
– TKKG: Das Paket mit dem Totenkopf, CD-Kaserne Celle 14.03.2010
– Der Karpatenhund, Cäciliensaal Oldenburg 12.03.2011
– Die schwarze Katze, Lindenhalle Wolfenbüttel 17.04.2012
– Niemals geht man so ganz (Der Superpapagei), Lindenhalle Wolfenbüttel 26.11.2012
[– Hinterm Horizont (John Sinclair: Das Horror-Schloß im Spessart) 2013]
– Pulp Fiction, Rudolf-Steiner-Schule Wuppertal 12.03.2015
– Der Phantomsee, Theater am Aegi Hannover 01.03.2016
– Der grüne Geist, CongressPark Wolfsburg 22.02.2017
– Das Gespensterschloß, CongressPark Wolfsburg 15.02.2018
– Sherlock Holmes und die Liga der außergewöhnlichen Detektive, CongressPark Wolfsburg 14.03.2019
– Helden der Galaxis, Lindenhalle Wolfenbüttel 04.03.2020
– Der heimliche Hehler, Lindenhalle Wolfenbüttel 10.02.2024