Von Matthias Bosenick (14.05.2019)
Was für ein Typ! Daniel Bressanutti schmeißt nach einem gefühlten Dutzend Alben im vergangenen Jahr Anfang 2019 mal eben zwei Doppel-CDs gleichzeitig in die Menge. Mit überraschendem Inhalt: „Silex“ und „One To One + Xaosonix“ hätte man genau vertauscht klingend erwartet. Auf ersterem versucht sich B. mit seinem Kollaborateur Edwin Vanvinckenroye nicht etwa in der Fortsetzung des erst kürzlich begonnenen gemeinsamen Industrial-Projektes, sondern in imaginärem Filmsoundtrackscore, und auf der Solo-Sache setzt er nicht seine Ambientexperimente fort, sondern bigbeatige Ausbrüche nach Art des letzten Front-242-Albums. Immer eine Überraschung, der Mann!
Für den Plan,
eine an Klassik angelehnte Art Soundtrack einzuspielen, ist es
natürlich von Vorteil, mit einem Violinisten zusammenzuarbeiten.
Kurzerhand erklären Vanvinckenroye und Bressanutti den Titel ihres
gemeinsamen Debüts zum Projektnamen und generieren als 99.9 opulente
Scores mit Kopfkino. Auf den vier überlangen „Silex“-Tracks
bringen sie so ziemlich alles unter, was man sich in einem Soundtrack
vorstellt, von beschaulichen Ambientpassagen bis zum opulenten
Orchesterbrimborium. Einige Soundschnipsel, etwa beinahe
furchterregenden Kindergesang, arbeiten sie zusätzlich mit ein. So
ist das Grundgefühl von „Silex“ zwar entspannend, aber mit
unbequemen und aufrüttelnden Elementen. Nicht so auf die Zwölf wie
das Debüt, an das dieses Album gar nicht mehr erinnert.
Dafür
aber „One To One + Xaosonix“, auf dem sich Bressanutti wieder mit
dicken Beats und „7Rain“-Reminiszenzen austobt. Die Synthies
erzeugen Sequenzen, was das Zeug hält, und das Schlagzeug wuchtet
dazu, als wäre es ein echtes. Um Songs klassischer Art geht es
nicht, eher um Wiederholungen und Stimmungen, aggressive, mindestens
kraftvolle zumeist. Was dieses Album so abhebt, sind aber die Sounds,
die Bressanutti über die tanzbaren Tracks legt: Latenter Noise
verleiht den Electrostücken etwas Organisches. Dazwischen lässt
Bressanutti dem Hörer auch mal Zeit, in den atmosphärischen
Momenten etwas Luft zu holen, ballert aber schon bald wieder
tanzfreudig los. Das steht ihm gut und so kann man sich nach „Pulse“
aus dem Jahr 2003 ein mögliches neues Album von Front 242
vorstellen.
Beide Alben kommen im hübschen
Doppel-Klapp-Pappschuber und sind natürlich auch als Download
erhältlich. Als Veröffentlichungszeitpunkt ist der April 2019
angegeben, mach bei zwei Doppel-CDs im Jahr 2019 sozusagen je eine CD
pro Monat. Man darf gespannt sein, was sich der EBM-Miterfinder für
den Rest des Jahres noch ausgedacht hat. Dieser Doppelschlag
widerlegt zumindest den letzten Eindruck, dass er mit Kollaborateuren
kreativer ist – „Silex“ steht hinter „One To One + Xaosonix“
bei aller Qualität doch etwas zurück. Aber Tempo hat er, der
64-Jährige!