Church Of Misery – Born Under A Mad Sign – Rise Above Records 2023

Von Guido Dörheide (10.08.2023)

Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Herr Dörheide schließt seine Bildungslücken“. Ich frage mich, warum ich von Church Of Misery, einer seit über 30 Jahren aktiven Stoner/Doom-/Sludge-Metal-Band aus Tokio, die sich dem Thema „Serienmörder“ verschrieben hat, noch nie etwas gehört habe. Als ich erstmals des Cover-Artworks von „Born Under A Mad Sign“ angesichtig wurde, dämmerte mir bereits, dass ich es hier mit einer eventuell überaus schließenswerten Bildungslücke zu tun habe: Das Cover ist im Stil von Blue Note Records aufgebaut, ganz in Blau- und Schwarztönen gehalten (gibt es überhaupt unterschiedliche Schwarztöne? Oder einfach nur Schwarz?) und besteht außer Text aus dem Foto eines Mannes mit Hut, der den Betrachter nicht unfreundlich anblickt. War weiland bei Blue Note vorwiegend der auf dem Album spielende Musiker nebst Instrument zu sehen, ist es hier Fritz Haarmann aus Hannover, Niedersachsen, der den Betrachtenden anblickt. Auch der Titel machte mich neugierig, schließlich ist „Born Under A Bad Sign“ von Albert King (einem der drei Kings of the Blues Guitar) eines meiner liebsten Bluesalben. Und es unterscheidet sich ja nur in einem Buchstaben von dem hier vorliegenden Werk.

So viel sei vorweggenommen: Auf dem Album finden sich nichts von Albert King, dafür aber ein ganzes Stück („Most Evil“), das Haarmann gewidmet ist. Und was für eins: Knappe 10 Minuten lang türmen Bassist und Bandchef Tatsu Mikami und seine drei Mitmusikanten knarzige, analog klingende Riffs, hypnotische Rhythmen und herausgepresstes Gecroone eines Sängers, der offensichtlich nicht nur die Melvins, sondern auch EyeHateGod gründlich studiert hat, aufeinander, Chef ihm sein Rickenbacker sorgt dabei für die ordentliche Portion Rock’n’Roll, die allerdings weniger hör- als auf jeden Fall fühlbar ist. Bereits dieser Song (es ist Nummer zwei auf dem Album) macht mich hoffen, dass sich bei der Kirche des Elends Fans von Stonerdronedeathdoom nach der Art von Boris (ebenfalls aus Tokio) mehr abgeholt fühlen als solche von traditionellen skandinavischen Doombands wie sagen wir mal Candlemass.

Und diese Hoffnung wird erfüllt: Bereits das Eröffnungslied „Beltway Sniper“, das von John Allen Muhammad handelt, einem der Heckenschützen vom Washington D.C. Beltway. und mit einem Auszug aus einer zeitgenössischen Nachrichtensendung beginnt und dann ein polterndes und drohendes Doom-Matal-Szenario aus einem alles verschlingenden Schlagzeug und einer langsam dröhnenden Gitarre aufbaut, zu dem sich dann ein überraschend hoher, rauher Gesang hinzugesellt, der angenehm songdienlich in den Hintergrund gemischt ist. Diese Band bratzt einem das, was sie drauf und zu sagen hat, nicht ins Gesicht, sondern agiert trotz aller Wucht und Energie eher subtil.

Schon bei diesem ersten Stück wünschte ich mir, die 8:43 Minuten würden nicht so schnell vorübergehen. Überhaupt: Die Songs auf „Born Under A Mad Sign“ sind nicht eben kurz – das dritte Stück „Freeway Madness Boogie“ (den mindestens 16fachen Mörder Randy Kraft abhandelnd) ist mit 6:06 Minuten das kürzeste Stück des Albums. Auf diesem, trotz seiner vermeintlichen Kürze an ausgiebig rock’n’rolligen Instrumentalteilen nicht eben armen Stück kommt der heisere und inbrünstig dargebotene Gesang von Kazuhiro Asaeda besonders gut zur Geltung. Das folgende „Murder Castle Blues“ (hier geht es um H.H. Holmes, einen der ersten Serienmörder der US of A) beginnt ruhig mit einem Bass und dem Schlagzeug, zu dem Bassriff gesellt sich dann eine zunächst ruhige Gitarre, bis nach 50 Sekunden klargestellt wird, dass wir es hier mit einem klassischen Doom-Album zu tun haben. Alles klingt wieder sehr analog, krächzig und knarzend, allein Asaedas Gesang ist hier tiefer, voller und mehr im Stoner verhaftet. Der nächste Song heißt „Spoiler“, überrascht durch eine Orgel, zieht das Tempo ein wenig an und lässt die guten Zeiten rocken und rollen. Monoton, repetitiv, orgelnd, rockend, rollend und stampfend, halt Japan, wie wir es uns immer vorgestellt haben.

Hernach gibt es wieder einen Auszug aus einer Nachrichtensendung zu hören, dann treibt das Schlagzeug forsch voran, begleitet von einem verzerrten Bass, bis schließlich auch die Gitarre einsetzt. „Come And Get Me Sucker“ handelt von David Koresh, dem komplett bekloppten und skrupellosen Chef der Davidianer-Sekte, der 1993 im Zuge der mehrwöchigen Belagerung des Sektenhauptquartiers getötet wurde. Der Song sorgt nach der Orgel des Vorgängers durch sein Tempo und seine Breaks wieder einmal mehr für Abwechslung, der Sound und der Gesang tragen gleichsam zur Wiedererkennbarkeit bei und lassen das Album wie aus einem Guss wirken, ohne jemals zu langweilen.

Beim letzten Song schließt sich dann der Kreis zu einem meiner berufsbedingten größten Kundenkreise, der Allgemeinen Luftfahrt: „Butcher Baker“ behandelt den Fall Robert C. Hansen, der seine Opfer mit seinem Privatflugzeug zum Tatort in Alaska flog und ihnen dort Unvorstellbares antat, um sie danach zu jagen und zu töten. Gemessen daran klingt die musikalische Umsetzung fast zahm, kennt man den Hintergrund, sorgt sie jedoch für Gänsehaut: Im Vordergrund donnernd-doomige Riffs mit viel Verzerrung, knapp dahinter raunend-gröhlender Gesang, Church Of Misery erzeugen hier eine Stimmung, die – kennt man die Story dahinter – die Panik der Opfer explizit veranschaulicht. Und die Hörenden gleichermaßen verängstigt als auch begeistert zurücklässt.